von Andreas Gnesda, Arbeitswelten-Experte und Vorsitzender des Beirates der Leitbetriebe Austria
Lesen Sie nicht weiter: Denn während sie sich mit diesen Zeilen beschäftigen denken 38 % ihrer MitarbeiterInnen, Kollegen und Führungskräfte über einen Jobwechsel nach. Zu diesem Ergebnis kommt die 2019 von Marktagent.com durchgeführte Leitbetriebe-Studie „Mitarbeiter Magnetismus“. Der Gallup Engagement Index prüft regelmäßig die Bindung von MitarbeiterInnen an ihren Arbeitgeber. In Österreich sind es gerade mal 12 % der Arbeitnehmer, die eine hohe Bindung zu Ihrem Arbeitgeber haben. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass 88 % eine geringe oder gar keine Bindung haben.
Was sind die Ursachen dafür und was haben neue Arbeitswelten damit zu tun?
Die Hauptursache liegt im mechanistischen Menschenbild, das unsere Arbeitswelt prägt. Ausgehend von der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts haben wir den Taylorismus auf die Wissensarbeit des 20. und 21. Jahrhunderts übertragen. Alles wurde in Prozesse, Policies, KPIs und darauf aufbauende Assessments gepresst. Menschen verkommen dabei zur Maschine und fühlen sich zusehends von der Digitalisierung bedroht. Die gesellschaftliche Entwicklung zeigt auf, dass längst andere Motive und Werte einen weitaus höheren Stellenwert eingenommen haben. So sind es zutiefst menschliche Anliegen und Eigenschaften wie Verbundenheit, Wertschätzung, Kreativität und Zusammenarbeit, die gewünscht ja sogar sehnsüchtig erwartet werden. Ich glaube, wir stehen am Beginn eines neuen Zeitalters der Arbeitswelt, in dem das Menschenbild einen Wandel erfährt. Hat man MitarbeiterInnen noch vor wenigen Jahren und Jahrzehnten ausschließlich als Kostenfaktor und Ressource gesehen, so sind sie heute viel mehr Potenzialfaktor und in ihrer Einzigartigkeit unverzichtbar.
Gleichzeitig erleben wir in unserer Arbeitswelt heute ein hohes Maß an Unsicherheit. Die voranschreitende Digitalisierung lehrte uns, dass wir bis zu 50 % unserer Jobs in den kommenden Jahren verlieren werden. Viele und auch ich sind davon überzeugt, dass eine Unzahl neuer Aufgaben und damit berufliche Herausforderungen entstehen werden. Bleibt nur die Frage offen, ob diese neuen Jobs die alten verlorengegangenen Beschäftigungsverhältnisse ersetzen können. Greift die Kompensationstheorie auch im 21. Jahrhundert wie in der Vergangenheit, als der mechanische Webstuhl erfunden wurde oder das Fließband und der Industrieroboter die Fertigungswelt revolutionierten? In unserer Studie stehen mehr als Dreiviertel der Österreicherinnen der Digitalisierung positiv gegenüber. Zwei Drittel glauben, dass damit ein positiver Einfluss auf den Job verbunden ist, die Hälfte geht davon aus, dass es dadurch weniger Arbeitsplätze geben wird, nur 2 von 10 sehen den eigenen Arbeitsplatz gefährdet.
Und was hat das jetzt mit neuer Arbeitswelt zu tun? Am Beginn der Entwicklung zu neuen Arbeitswelten steht immer die Frage nach neuer Immobilie, neuem Büro, neuer Architektur. Wir stellen dann die Frage: Was wollen Sie mit neuer Immobilie, Büro, Architektur zum Ausdruck bringen? Die häufigsten Antworten sind: Wir wollen transparent sein und wir wollen offene Kommunikation, Kreativität und Austausch fördern. Das Wort Transparenz bietet besonders viel Spannung, bedeutet es doch aus dem Lateinischen kommend „durchscheinen“. Also was wollen Sie durchscheinen lassen? Meist geht es um zutiefst menschliche Werte wie Vertrauen, Ehrlichkeit und Wertschätzung.
Lassen Sie mich abschließend eine These aufstellen. Arbeitswelt ist gebaute Kultur. Kultur artikuliert Sich am stärksten über Architektur einerseits und andererseits über das Verhalten ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Kern von Kultur sind gelebte Werte. Wenn sie neue Arbeitswelten anstreben, dann geht es immer darum Werte sichtbar und erlebbar zu machen. Ihre Arbeitswelt wird zum Kulturkatalysator, Voraussetzung dafür ist ein ganzheitlicher Ansatz der neben Design und Funktionalität, an der Haltung und am Verhalten wirkt. Ich glaube, dass Unternehmen, die dies frühzeitig erkannt haben, zu den erfolgreichsten der nächsten Jahrzehnte zählen werden. Leitbetriebe sind Unternehmen, die eine hohe Mitarbeiterorientierung haben, bei denen längst ein anderes Menschenbild Einzug gehalten hat. Dieser Zugang ist mit Sicherheit ein Teil des Erfolges, der Leitbetriebe zu Vorbildunternehmen macht.