„Wir stellen mehr denn je unsere unternehmerische Resilienz in den Fokus unseres strategischen Denkens und Handelns. Unser Ziel ist es, die Lieferketten für unsere Kunden nachhaltig in stabile Strukturen zu überführen und uns als Organisation effizienter und flexibler aufzustellen“, betont Franz Braunsberger, Geschäftsführer Kühne + Nagel
Im Interview mit Leitbetriebe Austria spricht Franz Braunsberger darüber, wie Kühne + Nagel trotz Herausforderungen wie fehlenden europäischen Standardisierungen, geopolitischen Spannungen und Umweltfaktoren die Versorgungssicherheit gewährleisten wollen.
Wie kann die Supply Chain krisensicher(er) gestaltet werden? Ist eine krisensichere Versorgung in der Logistik möglich?
Franz Braunberger: Es gibt es heute mehr exogene Schocks auf die Lieferketten als noch vor einem Jahrzehnt. Aber: Die Logistiker haben jedoch sehr schnell gelernt, damit umzugehen. Unseren Kunden bieten wir in diesen Situationen verschiedene Optionen an. Im ersten Halbjahr haben wir beispielsweise als Effekt der Krise im Roten Meer eine stärkere Nachfrage nach kombinierten See- und Luftfracht-Dienstleistungen verzeichnet, da einige Kunden darüber versuchen, die Transitzeiten zu verkürzen.
Ein anderer Trend ist eine gewisse Rückkehr zur Lagerhaltung, um erkannte Störungen der Lieferketten abpuffern zu können: Marktteilnehmer gehen heute dazu über, ihre Fertigungs- und Lieferfähigkeiten in den Vordergrund zu stellen. Nicht mehr der Preis allein ist heute entscheidend.
Logistikdienstleistungen und Supply-Chain-Beratungen sind damit grundsätzlich von hoher Bedeutung. Darum stärken wir unsere Service- und Dienstleistungsangebote durch gezielte Digitalisierung. Um adäquat auf Änderungen in den Lieferketten reagieren zu können, haben wir beispielsweise unsere Plattform seaexplorer um Fahrplandaten aus den Less-than-Container-Load-Services erweitert. Unsere Kunden können dadurch ihre Transportplanung mithilfe der von seaexplorer bereitgestellten Echtzeitinformationen optimieren.
Welche Hindernisse gibt es in der Logistik, die eine reibungslose Versorgung in Österreich bzw. Europa beeinflussen?
Die anhaltenden Störungen im Roten Meer machen die Lieferketten nach wie vor weltweit komplexer. Die Frachtschiffe fahren weiterhin die traditionelle Route um das Kap der Guten Hoffnung. Die Schiffskapazitäten sind dadurch deutlich länger gebunden, sodass wir hier eine Reduzierung der verfügbaren Kapazitäten in den Diensten beobachten.
Weltweite Auswirkungen ziehen auch Streikereignisse wie zuletzt an der US-amerikanischen Ostküste nach sich. Trotz alternativer Routen und Notfallplänen hat es Rückstände in den Frachtterminals gegeben, die zu Verzögerungen in den Lieferketten geführt haben. Im Falle des Hafenarbeiterstreiks kann man für jeden Tag des Stillstands mit fünf bis sieben Tagen rechnen.
Ein dritter Aspekt, der Einfluss auf die europäischen Lieferketten nehmen könnte: protektive Tendenzen, die sich beispielsweise in Strafzöllen äußern. Die großen Wirtschaftsnationen haben bislang jedoch dem innenpolitischen Druck widerstanden, Protektionismus mehr zu Raum zu verschaffen.
Gibt es „Learnings“ durch die multiplen Krisen der letzten Jahre?
Wir müssen jeden Tag aufs Neue Flexibilität in der Gestaltung vielfältigster und komplexester Handelsbeziehungen beweisen. Dafür konzentrieren wir uns auf die Bedürfnisse unserer Kunden und Mitarbeiter und verfolgen unsere Strategie, die Roadmap 2026, konsequent weiter. Die Digitalisierung und der Aufbau eines digitalen Ökosystems sind wichtige Bestandteile davon, zusammen mit anderen Säulen der Roadmap 2026, wie der Kuehne+Nagel Experience, Living ESG und dem Marktpotenzial.
Und: Wir stellen mehr denn je unsere unternehmerische Resilienz in den Fokus unseres täglichen wie auch strategischen Denkens und Handelns. Unser Ziel ist es dabei, die Lieferketten für unsere Kunden nachhaltig in stabile Strukturen zu überführen und zugleich uns als Organisation effizienter und flexibler aufzustellen.
Was kann Österreich von anderen Ländern lernen?
Österreich hat bereits ein gut funktionierendes Logistiksystem, kann aber durch den Blick auf erfolgreiche Modelle aus anderen Ländern in Bereichen wie Automatisierung (Robotik in der Logistik), Nachhaltigkeit (Einsatz von „grünen“ Logistikzentren mit erneuerbaren Energien), Resilienz, und multimodalen Transportlösungen (verschiedene Verkehrsträger wie Straße, Schiene, Wasser, Luft verknüpft) noch weiter profitieren. Das Kombinieren fortschrittlicher Technologie, grünen Initiativen und einer besseren Vernetzung von Verkehrsträgern könnte die Wettbewerbsfähigkeit des Landes im internationalen Logistikmarkt weiter steigern.
Sollte es im Bereich Logistik eine stärkere Vereinheitlichung geben, damit die Versorgung der Länder gegeben ist?
Eine europaweite Vereinheitlichung der Logistik könnte die Effizienz und Nachhaltigkeit des gesamten Logistiksektors erheblich steigern. Im Schienengüterverkehr wäre eine Anpassung von Spurweiten, Signalisierung und Stromsystemen entscheidend. Oder einheitliche Regeln für Lkw-Gewichte, -Größen und -Fahrzeugtypen, sodass diese in allen Mitgliedsländern ohne zusätzliche Genehmigungen unterwegs sein können. Das TEN-T (Trans-European Transport Network) ist ein Ansatz, der bereits versucht, wichtige Verkehrsachsen in Europa zu vereinen, aber eine weitergehende Standardisierung der Infrastruktur und des Transportsystems könnte den Erfolg dieses Projekts steigern. Eine enge Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten, der Privatwirtschaft und den zuständigen Behörden sowie die Schaffung einheitlicher Standards und digitaler Plattformen sind entscheidend für den Erfolg einer solchen Initiative.
Infobox:
Mit über 78.000 Mitarbeitern an rund 1.300 Standorten in mehr als 100 Ländern zählt Kühne+Nagel zu den global führenden Logistikdienstleistern. Kühne+Nagel Österreich mit Firmensitz in Wien wurde 1970 gegründet und ist heute österreichweit mit einem Stamm von rund 700 Mitarbeitern an 15 Standorten tätig.
Schwerpunkte der österreichischen Organisation liegen in See- und Luftfracht, Kontraktlogistik und Landverkehr. Seit der Erweiterung des bestehenden Produktportfolios von Kühne+Nagel Österreich werden aus der Steiermark die beiden Abteilungen KN Expo und Event Logistics sowie KN Project Logistics koordiniert. Neben diesen Produkten werden auch maßgeschneiderte Industrielösungen angeboten.