Leitbetriebe holen sich mit innovativen Strategien ihre künftigen Facharbeiter
Zukunftsorientierte Ausbildungsinhalte, langfristige Sicherheit und Fokus auf Diversität sind die wichtigsten Pluspunkte für Arbeitgeber
Wien, 17. Oktober 2019 – „Maturanten gibt es mehr als genug, Akademiker zumindest ausreichend viele, aber einen motivierten Lehrling mit Potenzial für ein Unternehmen zu gewinnen, ist heute fast schon ein Kunststück“, bringt Monica Rintersbacher, Leitbetriebe Austria-Geschäftsführerin, die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt auf den Punkt. Bei einer exklusiven Diskussionsrunde in der Lehrlingswerkstätte der ÖBB mit hochkarätigen Entscheidungsträgern ausgezeichneter Leitbetriebe zeigten sich diese durchaus besorgt über den immer schärfer werdenden Mangel an lehrstellensuchenden Jugendlichen und in weiterer Folge hochqualifizierter Facharbeiter.
„Wir brauchen dringend wieder eine starke Lehrlingsgeneration“, meint Rintersbacher, „sonst werden wir in wenigen Jahren einen noch nie dagewesenen Facharbeitermangel erleben, der für große Teile der heimischen Wirtschaft eine ernsthafte Bedrohung werden kann.“ In vielen Leitbetrieben habe die intensive und kontinuierliche Suche nach Lehrlingen daher höchste Priorität. „Mehr noch als die besten Köpfe benötigen wir Menschen mit den besten Köpfen und den besten Händen. Die duale Ausbildung kann daher – in modernisierter Form – das Erfolgsmodell der Zukunft werden.“
Ein Erfolgsmodell haben auch die ÖBB, der mitarbeiterstärkste Leitbetrieb Österreichs, etabliert. Mit mehr als 2.000 Lehrlingen sind sie der mit Abstand größte Ausbildner im Bereich technischer Berufe. „Unsere Lehrlingsoffensive ist unser wichtigstes Werkzeug im Kampf gegen einen drohenden Fachkräftemangel, der uns wegen der bevorstehenden Pensionierungswelle in den kommenden Jahren beschäftigen wird“, erklärt Vorstandsvorsitzender Andreas Matthä. „Um unseren Lehrlingsstand weiter ausbauen zu können, müssen wir aber auch ein sehr attraktives Ausbildungsunternehmen sein. Gute Lehrlinge haben derzeit alle Chancen.“
Um im Wettbewerb der Ausbildner erfolgreich zu bleiben, haben die ÖBB in den vergangenen Jahren daher kräftig aufgerüstet:
- Die Zahl der angebotenen Lehrberufe wurde erhöht, vor allem um besonders wachstumsstarke und zukunftsträchtige Ausbildungswege wie beispielsweise die Digi-Lehrberufe „Applikationsentwicklung / Coding“ und „E-Commerce-Kaufleute“.
- Die Lehrwerkstätten wurden umfassend modernisiert und um „Zukunftslabors“ ergänzt. Bei den ÖBB lernen die Lehrlinge nicht nur den Umgang mit klassischen Werkzeugen ihres jeweiligen Lehrberufs, sondern auch das Arbeiten mit 3D-Druckern, Robotern und Virtual Reality-Brillen.
- Die Übernahmerate wird kontinuierlich erhöht. Mittlerweile werden drei Viertel aller Lehrlinge in den ÖBB-Dienst übernommen, in naher Zukunft soll die Rate weiter steigen.
Die Investitionen in eine erstklassige Lehrlingsausbildung werden sich jedenfalls bezahlt machen, ist Matthä überzeugt: „Wir benötigen binnen weniger Jahre 10.000 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese werden wir nicht am freien Markt finden, unsere Lehrlinge von heute sind daher unsere Spezialisten von morgen.“
Der vielleicht wichtigste Schlüssel für den Erfolg der ÖBB-Lehrlingsoffensive ist für Matthä, dass auf Basis einer groß angelegten Umfrage erhoben wurde, was (potenziellen) Lehrlingen besonders wichtig ist, und diese teilweise überraschenden Erkenntnisse in die Ausbildungsstrategie eingeflossen sind.
- Sicherheit: Sicherer Arbeitsplatz und Planbarkeit der eigenen Zukunft sind das mit Abstand wichtigste Kriterium bei der Wahl einer Lehrstelle.
- Geregelte Arbeitszeiten: Flexible Arbeitszeiten werden definitiv nicht gewünscht.
- Qualifikationen mit Zukunftspotenzial: Die Lehre muss Qualifikationen schaffen, die nach Einschätzung der Lehrlinge auch in Zukunft stark nachgefragt sein werden.
„Unsere Lehrausbildung erfüllt diese Anforderungen ganz exzellent“, ist Matthä stolz. „Das und der große Stellenwert, den wir dem Thema Diversität beimessen – wir haben z. B. den Mädchenanteil unter den Lehrlingen von früher fast Null auf 18 Prozent gesteigert – führt dazu, dass wir Schritt für Schritt wieder zu einer Situation kommen, uns wieder unter vielen exzellenten Bewerbungen die besten aussuchen zu können.“
Mit den Rahmenbedingungen für die Lehre ist Matthä dennoch nicht ganz zufrieden: „Es gibt heute keine Ausbildung mit besseren Berufsaussichten als die Lehre, sie lässt sich hervorragend mit einer höheren Schulbildung kombinieren und Lehrlinge werden früher als andere dank ihres eigenen Einkommens unabhängig von den Eltern. Doch auch wenn sich das Image der Lehre graduell verbessert, ist es doch noch immer unverdient schlecht. Wir brauchen dringend konsequentes
Handeln der Politik und einen gesellschaftlichen Wertewandel. Ein guter Handwerker, der seinen Beruf mit Freude ausübt, ist glücklicher und für den Wirtschaftsstandort Österreich besser als ein halbherzig seinen Job erfüllender Akademiker.“
Titelfoto: Monica Rintersbacher (GF Leitbetriebe Austria), Andreas Matthä (Vorstandsvorsitzender ÖBB), Andreas Gnesda (Beiratsvorsitzender Leitbetriebe Austria) mit 2 ÖBB Lehrlingen in der Lehrwerkstätte
Copyright Fotos: Sabine Klimpt