Handelsverband & KMU Forschung Austria präsentieren Jahrbuch 2023: Handel zwischen Hoffnung und Herausforderung. Umsatz klettert auf 319 Mrd. Euro, Zahl der Beschäftigten auf 625.000. 62% der Händler verzeichnen Personalmangel.
Der Handel ist und bleibt für die österreichische Wirtschaft von zentraler Bedeutung, so lautet die Botschaft des brandneuen JAHRBUCH HANDEL 2023, das der Handelsverband heute gemeinsam mit der KMU Forschung Austria präsentiert hat. Der Report liefert die umfassendste Datenanalyse des österreichischen Handels, zeigt neueste Zahlen zur Branchenstruktur, Umsatz- und Personalentwicklung sowie zur Rentabilität und Wertschöpfung:
- Zu Jahresbeginn 2022 waren 82.390 Unternehmen mit 625.060 unselbstständig Beschäftigten in der Handelsbranche (Einzelhandel, Großhandel, Kfz-Handel) tätig.
- Gemeinsam erzielten sie im Vorjahr 319,3 Milliarden Euro an Umsätzen sowie eine Bruttowertschöpfung von knapp 39 Milliarden Euro.
- Der Einzelhandel kommt auf 44.380 Unternehmen mit insgesamt 346.210 Beschäftigten und einem Umsatz von 81,8 Milliarden Euro (2022). Davon entfallen 32% auf den Lebensmitteleinzelhandel, der rund 115.900 Mitarbeiter:innen beschäftigt.
- Die Zahl der Lehrlinge ist 2022 auf 15.190 (+0,3%) gestiegen, lag vor der Corona-Pandemie 2019 allerdings schon bei 15.280.
- Im EU-Vergleich erreicht Österreich sowohl bei der Zahl der Beschäftigten als auch beim Umsatz Platz 9. Platz 1 geht jeweils an Deutschland mit fast 6 Mio. Beschäftigten und 2,12 Billionen Euro Umsatz.
Handel ist umsatzstärkster Wirtschaftsbereich & zweitgrößer Arbeitgeber des Landes
„Handel ist Leben. Mit einem Anteil von 22% stellt der Handel in Österreich die meisten Unternehmen aller Branchen und ist der umsatzstärkste Wirtschaftsbereich. Wir sind mit mehr als 625.000 Beschäftigten zweitgrößter Arbeitgeber des Landes und schultern fast ein Fünftel der gesamten Wertschöpfung“, fasst Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will die volkswirtschaftliche Bedeutung der Branche zusammen.
„Mehr als die Hälfte der Beschäftigten im Handel sind Frauen, die Teilzeitquote liegt bei 36%. Der Handel ist auch ein wichtiger Arbeitgeber für Migrantinnen und Migranten, mehr als ein Viertel der Mitarbeitenden haben Migrationshintergrund“, ergänzt Wolfgang Ziniel, Projektleiter der KMU Forschung Austria.
Handelsumsätze seit 2019 real um 3,6% zurückgegangen
Spannend: Nachdem die positive Entwicklung der Jahre 2016 bis 2019 im Handel in Folge der Corona-Pandemie gestoppt wurde, zeigte sich bereits 2021 wieder ein leichter Aufwärtstrend und 2022 trotz Ukraine-Krieg und Energiekrise zumindest eine Stabilisierung auf diesem Niveau.
„Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 hat sich die Zahl der Unternehmen um 1% erhöht. Die Beschäftigtenzahl konnte zwischen 2019 und 2022 sogar um 2,5% ausgebaut werden“, so Will. „Die Umsätze lagen 2022 nominell um 15,3% über dem Niveau von 2019. Real, also unter Berücksichtigung der Inflation, hat sich die negative Entwicklung jedoch fortgesetzt. Insgesamt sind die Handelsumsätze seit 2019 inflationsbereinigt um 3,6% zurückgegangen.“
Die 5-jährige Bestandsquote von im Jahr 2015 gegründeten Unternehmen belief sich im Handel im Jahr 2020 auf 50%. Das bedeutet, dass von den 2015 neu gegründeten Handelsunternehmen im Jahr 2020 noch die Hälfte auf dem Markt tätig war. Nachdem es zwischen 2019 und 2021 zu einem starken Rückgang der Insolvenzen im Handel gekommen ist, haben sich diese 2022 wieder deutlich erhöht und auf das Vorkrisenniveau von 2019 (knapp 900 Insolvenzen) eingependelt.
Europäischer Handel im Vergleich: Deutschland & Italien führend
EU-weit können ein Viertel aller Unternehmen, 23% der unselbstständig Beschäftigten sowie 35% der Umsätze der Privatwirtschaft dem Handel zugerechnet werden. Insgesamt gibt es in der EU rund 6 Mio. Handelsunternehmen mit mehr als 24,6 Mio. Mitarbeiter:innen, die mehr als 8,7 Billionen Euro an Umsatz erzielen. Die meisten Handelsunternehmen haben in Italien, Spanien, Frankreich, Deutschland und Polen ihren Sitz.
„Während EU-weit die meisten Handelsunternehmen in Italien zu finden sind, steht der deutsche Handel in Bezug auf die Beschäftigung und Umsatz mit einem Anteil von jeweils 24% mit Abstand an erster Stelle. Auf Österreich entfallen rund 1% aller Handelsunternehmen, 2% der Handelsmitarbeiter:innen sowie 3% der Handelsumsätze der EU-27“, erklärt Wolfgang Ziniel.
„3H“: Handel zwischen Hoffnung und Herausforderung
Also trotz multipler Krisen alles Roger im Einzelhandel? „Der Handel bewegt sich zwischen Hoffnung und Herausforderung. Die Einzelhandelsumsätze 2022 im Vergleich zu 2021 real um 0,8% zurückgegangen, gleichzeitig sind die Kosten gestiegen. Umsatz ist auch nicht gleich Gewinn. Viele Händler haben während der Pandemie und zuletzt in der Energiekrise Liquiditätsprobleme bekommen. Sie waren gezwungen, ihre Preise zu senken bzw. weniger stark anzuheben als im Einkauf – gleichzeitig sind die Kostenblöcke in die Höhe geschossen. Das hat bei zwei Drittel der Betriebe die Gewinnspannen stark nach unten und teilweise in die Verlustzone gedrückt“, sagt Rainer Will.
Händlerbefragung: 62% von Arbeitskräftemangel betroffen
Abseits der Umsatzentwicklung gibt es zurzeit ein Thema, welches die Handelsbranche am stärksten beschäftigt: der Arbeitskräftemangel. Laut der jüngsten HV-Händlerbefragung sind aktuell fast zwei Drittel aller Handelsbetriebe davon betroffen. 6% mussten in den letzten 6 Monaten bereits einzelne Geschäfte temporär schließen, weil das Personal gefehlt hat. Aktuell sind fast 4% von Filialschließungen betroffen, bei weiteren 14% ist nur ein eingeschränkter Betrieb möglich.
Weitere Kernergebnisse zum Arbeitskräftemangel:
- 26% der Händler sehen sich trotz Arbeitskräftemangel bis Jahresende zu einem Personalabbau gezwungen;
- 32% schreiben zurzeit offene Stellen als Teilzeit aus, obwohl sie Vollzeit-Beschäftigte bevorzugen;
- 23% der Vollzeit-Beschäftigten auf der Fläche sind aktuell max. 4 Tage pro Woche im Einsatz;
- 74% der Handelsbetriebe lehnen die Einführung der 4-Tage-Woche (32h pro Woche) bei vollem Lohnausgleich ab, weil dies finanziell nicht leistbar wäre;
- Für 19% der Händlerwäre die generelle Einführung der 4-Tage-Woche denkbar, aber nicht bei vollem Lohnausgleich;
Handelsverband-Forderung: Arbeitsmarktreform jetzt! Arbeit muss sich (wieder) lohnen!
Daher setzt sich der Handelsverband vehement für die Umsetzung der angekündigten Arbeitsmarktreform ein. Der dringende Bedarf zeigt sich in fast jedem Betrieb. „Alle reden über Nachhaltigkeit, aber niemand über ein nachhaltiges Pensionssystem. Die Bundesregierung muss eine ‚Generation geringfügig‘ vermeiden, über die negativen Konsequenzen von Teilzeitarbeit für die eigene Pension aufklären und dem Arbeitskräftemangel aktiv entgegenwirken“, fordert Handelssprecher Rainer Will. „Was es dafür braucht? Bessere Anreize, um arbeitslose Menschen ins Erwerbsleben zu integrieren. Jenen Beschäftigten, die ihre Stunden erhöhen wollen, darf die zunehmende Abgabenlast keinen Strich durch die Rechnung machen. Genau das ist jedoch derzeit der Fall.“
Teilzeit ist für viele der GenZ ein neues Lebensmodell. Die Bundesregierung ist aufgerufen, eine breitflächige Aufklärung zu starten und zu erklären, dass durch die Teilzeitfalle nicht nur die Auswirkungen der Teuerungskrise verstärkt werden, sondern langfristig Altersarmut droht, wenn Pensionsansprüche dahin schmelzen.
Das Problem: Kaum wo in der EU zahlen Arbeitgeber so viel für ihre Beschäftigten, ohne dass es den Angestellten selbst bleibt. Vollzeitarbeit muss endlich attraktiviert werden und auch die Erhöhung des Stundenausmaßes in Teilzeit darf nicht länger durch übergebührliche Zunahme an Abgaben „bestraft“ werden. „Der Handel bietet attraktive Jobmöglichkeiten. Aber im EU-Vergleich ist die Abgabenbelastung nur in Belgien und Deutschland noch höher als in Österreich. In allen anderen EU-Ländern bleibt einem Durchschnittsverdiener monatlich mehr Netto vom Brutto. Wir müssen jene Menschen mobilisieren, die arbeiten können, aber nicht wollen, um auch jene nachhaltig in ihrer Lebenssituation abzusichern, die arbeiten wollen aber nicht können“, bestätigt Will.
Hinzu kommt: In ganz Europa ist es, abgesehen von Belgien und Spanien, in keinem anderen Land finanziell unattraktiver, seine Arbeitszeit auszuweiten. Wenn eine Teilzeitkraft die Wochenarbeitszeit um 50% ausweitet, steigt der Nettolohn in Österreich nur um 32%. In Schweden sind es hingegen 44%.
„Zwei Drittel unserer Betriebe suchen Mitarbeiter:innen. Wenn sich mehr Menschen für Vollzeit statt Teilzeit entscheiden sollen, dann brauchen wir nicht nur eine flexiblere Gestaltung von Arbeit, sondern auch flächendeckende Kinderbetreuungseinrichtungen im ganzen Land und vor allem mehr Netto vom Brutto. Es geht nicht darum, Teilzeit gegen Vollzeit auszuspielen. Es geht vielmehr darum, dass es sich finanziell auch proportional auszahlen muss, die Stunden zu erhöhen. Leistung muss sich wieder lohnen, das Zauberwort heißt Anreize setzen“, so Rainer Will abschließend.
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