Arbeitsverhältnisse vor dem Hintergrund nachhaltiger Unternehmensführung
„Bei den ESG-Kriterien geht es nicht nur um Umweltschutz. Environmental, Social and Governance – da steckt auch social in der Abkürzung.“ Dr. Angelika Pallwein-Prettner, Partnerin im Arbeitsrechtsteam von Binder Grösswang, beobachtet, dass besonders Diversitätskonzepte bei dieser sozialen Komponente von ESG immer relevanter werden. „Dieser Trend kommt aus den USA, wo Diversitätserfassung und -management schon große Bedeutung hat. Bei uns unterschätzen viele Unternehmen den damit verbundenen Aufwand und die rechtlichen Fallstricke.“
Einerseits sind sowohl Kunden als auch Geschäftspartner aufmerksamer geworden, was Environmental Social Governance Themen angeht. Andererseits werden auch die rechtlichen Rahmenbedingungen strenger. Ein Beispiel hierfür ist die neue europäische Corporate Sustainability Directive. Sie wird durch eine Erweiterung des Anwendungsbereiches die Zahl der Unternehmen, die Informationen zur Nachhaltigkeit ihres unternehmerischen Handels bereitstellen müssen, erhöhen. Anstatt derzeit 11.600 sollen künftig rund 49.000 Unternehmen in der Europäischen Union Nachhaltigkeitsinformationen in den Lageberichten aufnehmen. In Österreich werden voraussichtlich knapp 2000 Unternehmen betroffen sein.
„Der administrative Aufwand für die Unternehmen wird auch durch die größere Zahl an abzudeckenden Themen im Lagebericht steigen“, erklärt Pallwein-Prettner. Und was die Informationserfassung angehe, herrscht bei vielen Unternehmen Unsicherheit: „Immer mehr Unternehmen kommen zu uns und fragen Was darf ich überhaupt erfassen? Wie frage ich nach Themen wie Religion, Weltanschauung, sexueller Orientierung oder Behinderung. Und muss die gefragte Person überhaupt antworten? Und dann eine große Frage: Wie verwerte ich die Information?“
Pallwein-Prettner und ihr Team beraten die Unternehmen bei der Entwicklung von gesetzeskonformen Strategien. „Oft kennen wir durch unsere Praxis und internationale Kontakte best practices und Lösungsansätze, um die Ziele unserer Mandanten zu erreichen.“ Der erste Schritt ist zunächst die Erfassung des Status Quo: Wie divers ist meine Belegschaft? Diese Erhebungen sollten regelmäßig gemacht werden, denn Fluktuation von MitarbeiterInnen führt zu ständigen Veränderungen, die aufgrund der meist anonymen Befragungen seitens der Unternehmen nicht nachvollzogen werden können. Pallwein-Prettner rät auch, die Informationseinholung – gerade in der Anfangsphase – nicht zu exzessiv zu betreiben, da viele Diversity-Merkmale sensible Daten sind und die Arbeitnehmer*innen rechtlich nicht verpflichtet sind, sie preiszugeben.
„Bei der Erstellung und Umsetzung von Diversitätskonzepten ist die Einhaltung von arbeits- und datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen fundamental“, erklärt Pallwein-Prettner. Die Ziele solcher Konzepte lassen sich auch nicht verallgemeinern, sondern können je nach Branche und Unternehmen sehr unterschiedlich sein. So können diese Ziele beispielsweise die Steigerung des Frauenanteils, Gehaltsgerechtigkeit oder Themen wie generationsübergreifende Teamzusammensetzung, Einbeziehung von Menschen mit Behinderung, unterschiedlicher Herkunft bzw. kulturelle Vielfalt der Belegschaft sowie Diversität hinsichtlich der sexuellen Orientierung der Arbeitnehmer*innen umfassen.
Im Gesetz sind derzeit nur sehr wenige echte „Quotenregelungen“ verankert, zum Beispiel im öffentlichen Dienst. Für private Unternehmen wurde eine echte Quotenregelung in Österreich bisher nur nach dem Gleichstellungsgesetz von Frauen und Männern im Aufsichtsrat eingeführt. Seit Beginn des Jahres 2018 müssen in Aufsichtsräten von Aktiengesellschaften, SEs, GmbHs und Genossenschaften Männer und Frauen in einem Mindestausmaß von jeweils 30 Prozent vertreten sein, wenn eine Gesellschaft börsennotiert ist oder mehr als 1000 Arbeitnehmer beschäftigt.
„Aber der gesellschaftliche Druck auf die Unternehmen wächst, auch abseits der gesetzlichen Regelungen Initiativen zu starten, um eine diverse Belegschaft zu erreichen“, so Pallwein-Prettner. Um ihre Diversitätsziele zu erreichen, setzen viele Unternehmen vor allem beim Recruiting auf verschiedene Strategien.
Eine Methode sind sogenannte „Blind Resumes“, also Lebensläufe, bei denen Informationen entfernt werden, die auf Herkunft, Religion, Geschlecht etc. hindeuten, um unbewusster Diskriminierung entgegenzuwirken. „Broad Talent Pools“ zielen darauf, den Pool der Bewerbungen zu diversifizieren. Dies geschieht durch geschlechtsneutrale Textierung der Stellenausschreibung und Schaltung in anderen Kanälen, um neue Zielgruppen zu erreichen. Bei der Strategie „Diverse Slate“ wird bereits von einem nach %-Vorgaben vorselektierten Pool von Bewerbungen ausgegangen. Es wird dann beispielsweise festgelegt, dass mindestens 33% der Bewerber*innen einen vielfältigen Hintergrund haben müssen. Diese Strategie ist in Österreich jedoch nicht zulässig, weil eine solche generelle Bevorzugung von „diversen“ Arbeitnehmer*innen idR als unzulässige Diskriminierung (gegenüber „nicht diversen“ Arbeitnehmer*innen) anzusehen ist. Nur in Ausnahmefällen ist eine solche Ungleichbehandlung als „positive Diskriminierung“ aus sachlichen Überlegungen gerechtfertigt