„Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Ländern und Unternehmen könnte helfen, Engpässe in der Arzneimittelversorgung frühzeitig zu erkennen und schnell gegenzusteuern“, ist Andreas Windischbauer, Vorstandsvorsitzender Herba Chemosan Apotheker AG, überzeugt.
Im Interview mit Leitbetriebe Austria spricht er außerdem über Hindernisse in der Logistik, mögliche Krisenmaßnahmen und darüber, wie Arzneimittelverknappung verhindert werden kann.
Wie kann man Lieferengpässe bei Arzneimittel verhindern und so die Versorgung sichern? Gibt es Krisenpläne für Österreich bzw. Europa?
Andreas Windischbauer: Aktuell gibt es in Österreich deutlich mehr Lieferschwierigkeiten, aber daraus entwickeln sich nicht automatisch Versorgungsproblematiken. Wenn etwa in der Apotheke ein Präparat nicht lagernd ist, erhält man eine Alternative, die im Wirkmechanismus gleich ist. Dies ist aufgrund der Reserven in der Versorgungskette Großhandel und Apotheke möglich. In Bezug auf die Versorgung für die Bevölkerung sieht es daher momentan deutlich besser aus, trotz Lieferengpässen, die leider zum Alltag gehören.
Um aber eine langfristige Absicherung zu erzielen, wäre eine breitere Anbieterbasis und Produktionsstätten in verschiedenen europäischen Regionen entscheidend. So könnte die Abhängigkeit von wenigen Herstellern oder Ländern verringert werden. Zusätzlich sollten „Made-in-Europe“-Initiativen gefördert werden, um die lokale Produktion zu stärken und die Abhängigkeit von Ländern wie China und Indien zu reduzieren.
In Österreich und Europa gibt es bereits Notfallpläne für verschiedene Sektoren, auch im Bereich der Arzneimittelversorgung. Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Ländern und Unternehmen könnte helfen, Engpässe frühzeitig zu erkennen und schnell gegenzusteuern. Der Aufbau von Notfalllagern (z.B. für lebenswichtige Medikamente wie Insulin) und redundanten Lieferwegen kann zudem eine schnelle Versorgung in Krisenzeiten sicherstellen und Versorgungsengpässe abfedern.
Welche Hindernisse gibt es in der Logistik, die eine reibungslose Versorgung in Österreich bzw. Europa beeinflussen?
Viele Arzneimittel und Wirkstoffe werden in wenigen Ländern (insbesondere China, Indien und anderen asiatischen Staaten) produziert. Geopolitische Spannungen, Naturkatastrophen oder logistische Unterbrechungen können die Versorgung gefährden.
Zusätzlich gibt es in der Logistik, insbesondere im globalen Handel, Kapazitätsprobleme. Diese entstehen durch die hohe Nachfrage nach Luftfracht aus China. Auch Unternehmen im pharmazeutischen Bereich müssen alternative Transportlösungen (wie das Chartern von Flugzeugen) finden, um ihre Lieferungen sicherzustellen.
Welche Behörden, Institutionen müssten einen Krisenmaßnahmenplan erstellen, oder ist es dafür schon wieder zu spät?
Es ist nie zu spät, Krisenmaßnahmen zu überdenken und neu auszuarbeiten. Für die Erstellung und Umsetzung sind mehrere Akteure verantwortlich. In erster Linie Gesundheitsministerien und Arzneimittelbehörden auf europäischer Ebene. In Krisenzeiten sind auch Behörden, die für Transportinfrastruktur zuständig sind, wie Infrastruktur-Ministerien oder Zollbehörden, wichtig, um die reibungslose Logistik aufrechtzuerhalten. Und natürlich nationale und regionale Katastrophenschutzbehörden (z. B. das Österreichische Bundesheer und Zivilschutzorganisationen) sollten in Krisenpläne integriert werden, um Notfalllogistik und -versorgung sicherzustellen.
Eine Einbindung der systemrelevanten Unternehmen wäre hier wesentlich. Wir alle haben unsere Erfahrungen aus der Covid-Pandemie gesammelt. Diese Erkenntnisse sollten in Maßnahmenpläne einfließen, um im Falle einer Krise schnell reagieren zu können.
Wie kann Arzneimittelverknappung verhindert werden – Stichwort Menschen hamstern Medikamente?
Durch gezielte Aufklärung und Kommunikation an die Bevölkerung könnte der übermäßige Kauf von Medikamenten vermieden werden. In Krisenzeiten sollte es klare Richtlinien geben, wie Menschen Medikamente in Notfällen auf sichere Weise erwerben können, ohne die Versorgung zu gefährden.
Ein Modell wie in Finnland, bei dem Hersteller für den heimischen Markt Kontingente bereitstellen, könnte auch in Österreich umgesetzt werden. Hierbei wird eine bestimmte Menge an Arzneimitteln für den nationalen Markt reserviert, um übermäßige Hamsterkäufe zu verhindern und die Verfügbarkeit zu sichern.
Beispiel Finnland, hier haben Hersteller Kontingente im Land. Wie ist dieses Beispiel in Österreich umsetzbar?
Das finnische Modell basiert darauf, dass Hersteller für den heimischen Markt Kontingente bereitstellen. Das könnte in Österreich umgesetzt werden, indem regulatorische Vorgaben eingeführt werden. Diese verpflichten die Hersteller, eine bestimmte Menge ihrer Produktion für den österreichischen Markt zu reservieren. Diese Kontingente würden dann zur Verfügung stehen, wenn die Nachfrage in Krisenzeiten steigt.
Auch Gespräche mit den großen internationalen Herstellern und entsprechende Anreize könnte ein systematischer Ansatz zur Sicherstellung von Kontingenten für den österreichischen Markt entwickelt werden.
Zusätzlich wären gesetzliche Vorschriften denkbar, die den Aufbau und die Pflege von Notfallvorräten bei den pharmazeutischen Unternehmen fördern.
Infobox:
Die Herba Chemosan Apotheker-AG wurde 1916 gegründet. Mit einem Marktanteil von rund 45 % und Lieferbeziehungen zu mehr als 90 % der österreichischen Apotheken ist es der führende vollsortierte Pharmagroßhändler Österreichs. Das Unternehmen bezieht Arzneimittel und Gesundheitsprodukte von über 1.000 nationalen und internationalen Herstellern. Mit sieben Logistikzentren betreibt Herba Chemosan Apotheker-AG Österreichs dichtestes Distributionsnetzwerk für Pharmaprodukte, um die tägliche Belieferung der österreichischen Apotheken zu gewährleisten. www.herba-chemosan.at