Interview: Michael Otter (AWO) über die Internationalisierung und Wertschöpfungsketten

„Leitbetriebe“ – Interview mit Michael Otter, Leiter AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA in der Wirtschaftskammer Österreich

Leitbetriebe Austria: Welche Rolle kann Österreich in einer allgemeinen Globalisierung und Internationalisierung spielen und wie verändert diese die Österreichische Wirtschaft?
Michael Otter: Österreich ist ein offenes, exportorientiertes Land, das vom Außenhandel enorm profitiert. Die Antwort auf Corona darf also nicht sein: Verkriechen wir uns in unsere nationalen Schneckenhäuser! Natürlich müssen wir den Export neu denken, aber die Idee des Außenhandels steht außer Frage. Zur besseren Vorstellung, wie wichtig der Export für Österreich ist: Jeder 2. Arbeitsplatz in unserem Land hängt direkt oder indirekt vom Export ab. Dabei haben sich unsere Unternehmen schon immer über die innovativen und qualitativen Produkte und Dienstleistungen ‚made in Austria‘ definiert. Ich blicke optimistisch in die Zukunft, denn auch in schweren Zeiten ist Qualität gefragt – und hier sind unsere vielen Hidden Champions kaum zu verdrängen.

Oft gehören gerade exportstarke Unternehmen zu den so genannten Hidden Champions in Österreich. Wie sehen Sie diesen Zusammenhang?
Ganz einfach: Qualität spricht sich herum. Österreichs Unternehmen, vor allem die KMU, sind wichtige Akteure in den verschiedensten Nischen. Ihre außergewöhnlichen Leistungen in Forschung, Design, Produktion und im Ingenieurswesen stehen hinter ihrem Erfolg. Und diese Leistungen kann man heute nicht mehr national getrennt betrachten, denn die Konkurrenz ist international. Daher verbreiten sich diese Erfolge ganz rasch über unsere Grenzen.

Die österreichischen Betriebe sind vielfach Teil einer internationalen und oft digitalen Supply-Chain. Was bedeutet dieses Umfeld für die Betriebe, welche Aufgaben und Vorteile bringt das mit sich?
Unsere Unternehmen sind häufig Zulieferer und damit Teil internationaler Lieferketten. Corona hat uns gezeigt: Wir müssen vieles neu denken – auch im Export. Lieferketten können durch ihre Komplexität volatil und verletzbar sein. Und wir haben gelernt, was ein Abbruch der Lieferketten bedeutet. Daher macht es natürlich Sinn, sich die Frage zu stellen: Wie kann ich die Lieferketten resilienter gestalten und damit auch den rot-weiß-roten Wirtschaftsstandort? Und welche Rolle spielt die Digitalisierung dabei? Die Neuordnung der Lieferketten post-Corona stellt nämlich eine enorme Chance dar: Einer aktuellen Studie von McKinsey zufolge könnten Unternehmen weltweit in den nächsten 5 Jahren bis zu einem Viertel ihrer Produktion in neue Länder verlagern. Dabei geht es um Waren in Höhe von bis zu 4,6 Billionen US-Dollar, das entspricht einem Viertel der globalen Exporte im Jahr 2018.

Gerade die produzierenden Betriebe sind auch von internationalen Zulieferern abhängig. Wie schätzen Sie hier die aktuelle Situation ein?
Aus unserer Sicht sind globale Kooperationen nach wie vor das beste Mittel um Krisen standhalten zu können. Der Knackpunkt ist die Frage: Welche Stärken habe ich als Standort und wo kann ich diese weiter verstärken und ausbauen? Heutzutage ist jede Produktion auf – oft nur wenige – Lieferanten und Abnehmer angewiesen. Sobald es in dieser Kette eine Störung gibt, kommt die Maschinerie ins Stocken. Spezialisierung, Globalisierung, Auslagerung der Produktion und Verkleinerung der Lager haben zwar Effizienzgewinne ermöglicht – allerdings um den Preis, dass das Wirtschaftssystem an Resilienz einbüßte.

Daher werden auch Near-Shoring und eine Abkehr vom Single-Sourcing-Konzepten im Fokus stehen. Um ähnliche Schocks wie durch die Coronakrise zu vermeiden, ist es als Unternehmen wichtig, die Widerstandsfähigkeit und Unabhängigkeit der strategischen Wertschöpfungsketten zu stärken und sich in Folge auch bei den Lieferanten breiter aufzustellen

Österreichs Außenhandel ist mit der Ausnahme zur Zeit der Finanzkrise 2008/2009 in den letzten 40 Jahren durchgehend teilweise stark gestiegen. Lässt Corona für 2020 wieder einen Rückgang erwarten?
Erst im Vorjahr haben wir mit Warenexporten in Höhe von über 150 Mrd. Euro einen neuen Export-Rekord aufgestellt. Unsere Erwartungen für das außergewöhnliche Jahr 2020 haben wir bereits angepasst und rechnen unter den aktuellen Umständen natürlich nicht mit einem Wachstum. Den größten Einbruch haben wir aber bereits hinter uns. Auch die Erholung in vielen wichtigen Partnerländern, beispielsweise China und Deutschland, schreitet schneller voran als erhofft. Nun heißt es, den Außenhandel möglichst rasch wieder auf die Erfolgsspur zu bringen. Denn Österreich verdient als kleines, exportorientiertes Land 6 von 10 Euro mit dem Export.

Was ist nötig, damit der für 2021 erhoffte wiedereinsetzende Aufschwung auch eintreffen kann? Welche Unterstützung benötigen die heimischen Betriebe?
Künftig stehen Wertschöpfungsnetze statt Wertschöpfungsketten im Fokus. Denn: Reißt ein Knoten, zerreißt die ganze Kette. Im Gegensatz dazu sind Netze wesentlich widerstandsfähiger. Wir sehen uns außerdem an, inwiefern Re- und Near-Shoring mancher Schlüsselsektoren aussehen und Sinn machen könnten.

Die AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA unterstützt die Betriebe beim Erschließen neuer Märkte, um neue Potentiale zu nutzen und so auch die Resilienz zu stärken. Erst letztes Jahr haben wir ein neues AußenwirtschaftsCenter im Zukunftsmarkt Vietnam eröffnet – dass Vietnam trotz Corona noch immer mit einem Wirtschaftswachstum rechnet, zeigt, dass unsere Entscheidung, dorthin zu gehen, die richtige war.

Wir experimentieren mit neuen Formate an und versuchen, wo möglich, die Geschäftswelt digital abzuwickeln. Mit dem WKÖ-Exportradar haben wir ein wichtiges Tool, das auch den Digitalisierungsgrad der jeweiligen Länder hervorhebt – um unseren Unternehmen zu zeigen, in welchen Märkten die digitale Geschäftsanbahnung besser funktioniert als anderswo.

Im Export spielen auch Dienstleistungen eine zunehmende Rolle. Wie ist das Verhältnis und die Aussicht zwischen internationalem Warenverkehr und Dienstleistungen aus Österreich?
Im Warenverkehr sind österreichische Firmen traditionell und generell stärker in den internationalen Wertschöpfungsketten integriert: Wir verdienen 7 von 10 Exporteuro mit Waren, 3 von 10 mit Dienstleistungen. Dabei ist in Österreich die Bedeutung der Warenexporte in den letzten 30 Jahren noch gestiegen – 1990 verdienten wir noch 4 von 10 Export-Euro mit Dienstleistungen. Dennoch darf der Dienstleistungsverkehr nicht unterschätzt werden, er wirkt wie ein Krisen-Puffer: In den letzten zwei großen Krisen ist er deutlich weniger stark eingebrochen als der Warenverkehr. Durch den stärken Einbruch in Krisenzeiten wächst der Warenverkehr jedoch nach Krisen deutlich schneller als der Dienstleistungsverkehr.

wko.at/aussenwirtschaft

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