Mag. Petra Draxl, Vorständin AMS; ©_AMS Österreich / Tanja Hofer

Arbeitsmarktservice Österreich (AMS): Interview mit Frau Mag. Petra Draxl (AMS-Vorständin) zum Arbeitsmarkt der Zukunft

„Für leistungsbereite Mitarbeitende reicht es nicht, lediglich den Lohn pünktlich auszubezahlen. Arbeitszufriedenheit muss man mit anderen Mitteln steigern: Angebote zur Aus- und Weiterbildung, flexible Arbeitszeitmodelle, die auf die Lebensphasen ihrer Mitarbeiter_innen eingehen, Planbarkeit von Diensten, wertschätzender Umgang mit Mitarbeiter_innen“, ist Petra Draxl, Vorständin beim AMS Österreich, überzeugt.

Im Interview mit Leitbetriebe Austria spricht Petra Draxl unter anderem über aktuelle Entwicklungen am Arbeitsmarkt, warum gute Bildung am besten gegen Arbeitslosigkeit schützt und wie beim AMS mit Veränderungen durch die digitale und grüne Transformation umgegangen wird.

Die Arbeitslosigkeit in Österreich liegt derzeit bei rund 6,2 Prozent (Juni 2024) und ist damit höher als im Vorjahr, im Vergleich zum Vormonat jedoch niedriger. Wie wird sich der Arbeitsmarkt laut Ihren Prognosen weiterentwickeln?
Petra Draxl: Für den österreichischen Arbeitsmarkt ist aktuell noch keine Erholung in Sicht. Laut WIFO und IHS geht die Stagnation der österreichischen Wirtschaft bedauerlicherweise in die Verlängerung und damit verbunden steigt die Arbeitslosigkeit weiter. Ende Juni 2024 waren rund 338.000 Personen bzw. 9,9 % mehr als vor einem Jahr beim AMS als arbeitslos oder in Schulung registriert.

Welche regionalen Unterschiede lassen sich bei den Arbeitslosenzahlen festmachen? Welche Potentiale aber auch Herausforderungen gibt es in den unterschiedlichen Regionen (Stichwort Stadt-Land)?
Gerade die Industriestandorte spürten in der aktuellen Situation die steigende Arbeitslosigkeit: Der relative Anstieg der arbeitslos gemeldeten Personen und Schulungsteilnehmer_innen liegt in Oberösterreich (+18,2 Prozent bzw. +6.256 Personen) oder der Steiermark (+12,4 Prozent bzw. +4.309 Personen) deutlich über dem österreichischen Durchschnitt (9,9 Prozent bzw. 30.319 Personen). Mit Blick auf die Zukunft ist vor allem die Verstädterung der Arbeitsmärkte eine Herausforderung, die jedes Bundesland treffen wird. Die Bevölkerung in den Städten nimmt zu, während sie in den Regionen zurückgeht. Unsere Erwerbsprognosen zeigen, dass mit +8,8 % Wien bis 2050 das einzige Bundesland mit einem Wachstum der Erwerbstätigen sein wird.

Welche Maßnahmen müssen vorgenommen werden, um die Arbeitslosigkeit zur verringern? (Stichworte: Familie & Beruf, Arbeitskräfte aus dem Ausland, MA länger im Beruf halten, etc.)
Als Erstes müssen Ganztagsbetreuungen für Kinder in Kindergarten und Schule flächendeckend und ganzjährig eingeführt werden, damit die Menschen – in den meisten Fällen Frauen – arbeiten können. Bei der gesteuerten Zuwanderung haben wir nur beschränkte Möglichkeiten. Da stehen wir im Wettbewerb mit Ländern wie den USA, Deutschland oder Japan. Daher müssen wir die Potenziale der nicht arbeitsmarktgesteuerten Migration besser nutzen. Das bedeutet, in die Leute zu investieren, die in den letzten Jahren zu uns gekommen sind. Das ist nur mit einem Bündel an Maßnahmen zu schaffen und kostet auch wirklich viel Geld. Aber es ist alternativlos. Nicht nur arbeitsmarkt- sondern auch demokratiepolitisch. Schließlich sind Betriebe gefordert, in die Gesundheit ihrer Mitarbeiter_innen zu investieren, um sie länger im Berufsleben zu halten.

Arbeitslosigkeit ist oft auch eine Bildungsfrage…
Das mit Abstand höchste Arbeitslosigkeitsrisiko ergibt sich für Personen, die keinen über die Pflichtschule hinausgehenden Bildungsabschluss vorweisen können. Im Jahresdurchschnitt 2023 liegt die Arbeitslosenquote dieser Personengruppe bei 19,6%. Für Frauen beträgt sie 18,4%, für Männer (u. altern. Geschl.) 20,6%. Insbesondere die großen Trends am Arbeitsmarkt wie Digitalisierung und Ökologisierung werden die Jobchancen von niedrig Qualifizierten weiterhin herausfordernd machen. Es gilt: eine gute Bildung ist statistisch der beste Schutz gegen Arbeitslosigkeit.

Durch die digitale Transformation und angesichts der zu erfüllenden Nachhaltigkeitsziele verändern sich auch die Aufgabenfelder bzw. entstehen neue Berufsbilder. Wie wird hier seitens des AMS reagiert?
Die grüne Transformation ist ohne gut ausgebildete Arbeits- und Fachkräfte nicht machbar. Jede PV-Anlage, jedes Windrad braucht Techniker_innen, Monteur_innen und Ingenieur_innen, um in Betrieb gehen zu können. Neue Technologien und ein nachhaltiges Ressourcenmanagement werden immer wichtiger. Für all das braucht es Expert_innen und gut ausgebildete Mitarbeiter_innen. Das geht nur mit nachhaltigem Personalmanagement.

Die Berater_innen des AMS unterstützen dabei, potenzielle Mitarbeiter_innen erfolgreich anzusprechen, Mitarbeiter_innen zu gewinnen, an das Unternehmen zu binden und die Kompetenzen der Mitarbeiter_innen bedarfsgerecht und zukunftsweisend weiterzuentwickeln. Dazu hat das AMS rund 700 Berater_innen, die mit Rat und Tat zur Verfügung stehen.

Trends wie Digitalisierung und der Wunsch nach sinnstiftenden Berufen beeinflussen aktuell die Suche nach einer Arbeitsstelle. Wie können traditionelle und z.B. Blue-Collar-Berufe, die ebenso wesentlich für die österreichische Wirtschaft sind, wieder etwas in den Vordergrund gerückt werden? 
Die Jobs für Menschen mit sehr geringen Qualifikationen fallen zunehmend weg. Durch Automatisierung oder durch Verlagerung ins Ausland. Lehrberufe werden durch neue Technologien anspruchsvoller und die Anforderungen durch die Digitalisierung steigen stetig. Immer mehr Personen streben einen Maturaabschluss an. Hier würde ich gerne die Diskussion führen, ob es nicht sinnvoll wäre, allen Schüler_innen eine längere allgemeine Ausbildung zukommen zu lassen. Eine Matura für allen wie man es aus Skandinavien kennt. Anschließend an diese fundierte allgemeine Ausbildung könnte dann die fachspezifische berufliche Ausbildung folgen. 

Jedenfalls sollten wir eine Marketingaktion für die Lehre nach der Matura entwickeln, im Sinne einer Super-Lehre. Nach meiner Überzeugung hat die Fachkraft von morgen eine gute Allgemeinbildung als Basis für lebenslanges Lernen und darauf aufbauend eine fachliche Spezialisierung.

Wie steht es um die Leistungsbereitschaft von den Mitarbeitenden – zahlt sich Leistung überhaupt noch aus?
Es spießt sich oft daran, dass Unternehmen den Fokus zu stark auf betriebliche Abläufe und Finanzzahlen legen. Für leistungsbereite Mitarbeitende reicht es nicht, lediglich den Lohn pünktlich auszubezahlen. Arbeitszufriedenheit muss man mit anderen Mitteln steigern: Angebote zur Aus- und Weiterbildung, flexible Arbeitszeitmodelle, die auf die Lebensphasen ihrer Mitarbeiter_innen eingehen, Planbarkeit von Diensten, wertschätzender Umgang mit Mitarbeiter_innen, um nur einige zu nennen. Die AMS-Berater_innen des Service für Unternehmen haben in diesem Bereich eine umfangreiche Expertise aufgebaut und mit der Impulsberatung kann das AMS Unternehmen dabei unterstützen, ein attraktiver Arbeitgeber zu werden und zu bleiben. 

Vielen Dank für das Interview!

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