Geschäftsführung und Aufsichtsrat in der Pflicht
Die im Sommer veröffentlichten Europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung fokussieren vor allem den Bereich Governance. Die neuen Verpflichtungen für Unternehmensführung und -aufsicht sind weitreichend und herausfordernd. Mag. Christina Wieser, Senior Managerin und Expertin für Sustainability Services bei BDO, erklärt, wie diese nach aktuellem Stand ausgestaltet sind und welche Schritte gesetzt werden sollten, um der neuen Berichtspflicht zeitgerecht nachkommen zu können.
„Es ist mittlerweile breiter Konsens unter Österreichs Unternehmen, ökologische und soziale Ziele in die Unternehmensstrategie aufzunehmen und diese konsequent umzusetzen. Durch EU-Regularien und die im Herbst erwartete nationale Gesetzgebung zur Ausweitung der Nachhaltigkeitsberichterstattung erhält dieser Bereich in absehbarer Zeit eine Wertigkeit, die bisher nur der finanziellen Berichterstattung zukam“, betont Christina Wieser, die große Kapitalgesellschaften zur neuen Berichtspflicht berät. ESG (E = Environment/Umwelt, S = Social/Soziales, G = Governance/Unternehmenspolitik) wird vor allem die Agenden von Unternehmensleitung und -aufsicht nachhaltig prägen: Von Reporting über die Berücksichtigung nachhaltigkeitsbezogener Ziele in Vergütungsmodellen bis hin zur nachhaltigen Transformation der Unternehmenskultur – ESG ist in sämtliche Geschäftsprozesse zu implementieren.
Stärkung der Governance-Säule: Geschäftsführung und Aufsichtsrat in der Pflicht
Die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive = CSRD) ist bereits am 5.1.2023 in Kraft getreten und muss von den Mitgliedstaaten bis 6.7.2024 in nationales Recht umgesetzt werden. Die Umsetzung in Österreich ist noch für das Jahr 2023 angekündigt. Konkretisiert werden die Vorgaben der CSRD durch die im Juli 2023 veröffentlichten Europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (European Sustainability Reporting Standards = ESRS). Diese betonen vor allem die Bedeutung der Governance-Säule, was einerseits weitreichende Folgen für die Verantwortlichkeiten von Geschäftsführung und Aufsichtsrat hat, andererseits aber auch die Auswahl der Gremien selbst beeinflussen soll. Denn die Unternehmensorgane müssen künftig über angemessene Nachhaltigkeitsexpertise verfügen, sodass die Auswahl potenzieller Entscheidungsträger:innen wohl nach neuen Kriterien erfolgen wird. Christina Wieser führt aus: „Es ist zu erwarten, dass relevanter unternehmensspezifischer Nachhaltigkeitskompetenz im Auswahlverfahren für Neubesetzungen vermehrt Bedeutung zukommen wird – die Gremien können von mehr Vielfalt und Interdisziplinarität nur profitieren.“
Die CSRD verlangt außerdem eine Beschreibung der Zuständigkeiten der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane im Zusammenhang mit den Nachhaltigkeitsaspekten. Die Verankerung von Nachhaltigkeit im Aufsichtsrat wird primär durch die Einrichtung spezifischer Ausschüsse zu ESG-Agenden sowie durch den Aufbau bzw. die Weiterentwicklung entsprechender Expertise im Gesamtgremium und im Prüfungsausschuss durch sogenannte „sustainability experts“ erfolgen. Für das Gelingen eines fruchtbaren Nachhaltigkeitsdialogs ist es entscheidend, dass Aufsichtsrat ebenso wie Geschäftsführung bzw. Vorstand ein gemeinsames Nachhaltigkeitsverständnis entwickeln und ihr ESG-Profil schärfen. Dafür braucht es neben der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in bestehenden Geschäftsabläufen die kontinuierliche branchen- und unternehmensspezifische Aus- und Weiterbildung zu Nachhaltigkeitsbelangen sowie den regelmäßigen Austausch in neu zu schaffenden bzw. in bestehenden Kommunikationsstrukturen (wie z.B. Aufsichtsratssitzung).
Vergütung als Steuerungselement
Ein entscheidender Treiber für die erfolgreiche Umsetzung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Zielen ist die angemessene Berücksichtigung in den Anreizsystemen, um das Handeln des Managements im Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen zu lenken. Ökologische und soziale Zielvorgaben wurden in den letzten Jahren zwar zunehmend in die erfolgsabhängige variable Vergütung von Geschäftsführung bzw. Vorstand aufgenommen, allerdings besteht noch immer Nachholbedarf in Bezug auf die Festlegung einer wirksamen Gewichtung von ESG-bezogenen Vergütungsinstrumenten und entsprechender Transparenz über deren Ausgestaltung.
In Zukunft müssen Berichtspflichtige offenlegen, inwiefern leistungsbezogene Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt werden und darüber hinaus – sofern im Prozess der Wesentlichkeitsanalyse als „wesentlich“ definiert – erläutern, ob und wie klimabezogene Erwägungen in die Vergütungspolitik für Geschäftsführung bzw. Vorstand und Aufsichtsrat einbezogen wurden. „In welchem Ausmaß Nachhaltigkeitskriterien in den Anreizstrukturen zu berücksichtigen sind, damit sie entsprechende (Steuerungs-)Wirkung entfalten können, ist in den ESRS allerdings nicht näher definiert. Dies bietet Unternehmen zwar Handlungsspielraum, birgt aber zugleich das Risiko, die Idee der Nachhaltigkeitsintegration nicht vollständig umzusetzen“, warnt ESG-Expertin Christina Wieser.
Berichtsinhalte laut ESRS
Insbesondere im Standard zur Unternehmenspolitik finden sich – sofern wesentlich – etliche Angabepflichten zu Aspekten der Governance: Dazu zählen u.a. Angaben zur Anzahl der Verurteilungen aufgrund von Verstößen gegen Korruptions- und Bestechungsvorschriften. Davon umfasst sind ebenfalls Informationen zu den Maßnahmen des Unternehmens, die getroffen wurden, um gegen diese Verstöße vorzugehen. Die Expertin zeigt in diesem Kontext noch eine Leerstelle auf: „Im Rahmen dieser Angabepflicht gilt natürlich der Grundsatz, dass man sich selbst nicht belasten muss. Wie sie in der Praxis umgesetzt wird, bleibt daher abzuwarten bzw. muss noch definiert werden.“ Die Dokumentation zahlreicher weiterer Parameter ist hingegen schon genauer definiert. So ist im Reporting auf alle Schutzmaßnahmen für die Meldung von Unregelmäßigkeiten, den Schutz von Hinweisgeber:innen und Trainings zur Bekämpfung von Korruption und Bestechung einzugehen. Es gilt daher, vorab jene Funktionen im Unternehmen zu identifizieren und zu schulen, die in Bezug auf Korruption und Bestechung am stärksten gefährdet sind.
Die ESRS fordern – sofern wesentlich – ausführliche Darstellungen über die Tätigkeiten und Verpflichtungen im Zusammenhang mit der politischen Einflussnahme, einschließlich der Lobbytätigkeit von Unternehmen. Offenzulegen sind also sämtliche relevanten finanziellen Zuwendungen wie Spenden, Darlehen und Sponsoring, aber auch Sachleistungen wie Werbung, Nutzung von Einrichtungen und Mitgliedschaft in Leitungsorganen.
Darüber hinaus rücken Beschaffungsprozesse und Lieferketten stärker in den Fokus der Berichterstattung, z.B. im Hinblick darauf, wie sich (verspätete) Zahlungen auf KMU auswirken – sofern dies in der Wesentlichkeitsanalyse als „wesentlich“ definiert wurde. In diesem Fall müssen Angaben über die tatsächliche durchschnittliche Zeit (in Tagen) bis zur Begleichung einer Rechnung und die Zahl anhängiger Gerichtsverfahren wegen verspäteter Zahlungen sowie eine Beschreibung der Standardzahlungsbedingungen von Lieferant:innen veröffentlicht werden. In diesem Kontext ist auf die geplante Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) hinzuweisen: Dieser Richtlinienentwurf sieht vor, dass Unternehmen erweiterte Sorgfaltspflichten entlang ihrer vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette übernehmen. Ziel der neuen EU-Richtlinie ist es, Unternehmen verstärkt zur Verantwortung der Achtung der Menschenrechte in ihren weltweiten Wertschöpfungsketten, aber auch im eigenen Unternehmen zu bewegen.
Umsetzung in der Praxis: Wo beginnen?
„Die größte Hürde bei der Umsetzung der neuen Regulatorik ist für viele Kund:innen der hohe Zeitdruck. Immerhin greift die erweiterte Berichtspflicht für den ersten Kreis der betroffenen Unternehmen schon ab dem kommenden Jahr“, berichtet ESG-Expertin Christina Wieser aus ihrem Beratungsalltag. „Zur Vermeidung von Haftungsrisiken und Reputationsschäden müssen Unternehmen zeitnah einen wirksamen Überwachungs- und Berichterstattungsprozess erarbeiten.“
Der erste Schritt ist stets die Festlegung der Governance-Struktur, die Formalisierung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten in der Organisation, in Management und Vorstand, im Aufsichtsrat und seinen Ausschüssen. Die vielfältigen Anforderungen an die Unternehmensorgane ziehen eine Überprüfung der Geschäftsprozesse sowie bestehender Abläufe des internen Kontroll- und Risikomanagementsystems nach sich und haben Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Leitungs- und Aufsichtsorgane. Gefordert sind die Gremien künftig, was den Aufbau bzw. die Weiterentwicklung von Kompetenzen und Fachwissen zu den unterschiedlichen Nachhaltigkeitsbelangen betrifft.
Ebenso bedeutend wie die Neuerungen zum unmittelbaren Anwendungsbereich der CSRD sind die Regelungen zum mittelbaren Anwendungsbereich – etwa mit Blick auf die Unternehmen, die Teil der Wertschöpfungskette sind und zu denen somit Angaben in die Berichterstattung integriert werden müssen, wie z.B. Lieferant:innen und Kund:innen. Im Hinblick auf die Lieferant:innen bietet es sich an, eine Verpflichtungserklärung (Code of Conduct) einzuholen, um so der Nichteinhaltung von ESG-bezogenen Anforderungen entgegenzuwirken. Im Bereich der Korruptionsprävention sollte insbesondere die Art und Form von Schulungsmaßnahmen sowie die Sensibilisierung der Mitarbeiter:innen und Lieferant:innen überprüft und modifiziert werden.
Praxistipp: Nachhaltigkeitskennzahlen
Um Sustainability-Ziele bzw. ihre Erreichung besser messbar zu machen, sind diese in Leistungskennzahlen zu übersetzen. So sehen die ESRS z.B. im Zusammenhang mit dem Klimawandel und den eigenen Beschäftigten bereits ein umfangreiches Set entsprechender Parameter vor. Zu Klimawandel zurechenbare Kennzahlen sind u.a. Energieverbrauch und Energiemix sowie Treibhausgasemissionen. Soziale Leistungsindikatoren umfassen z.B. Parameter zu Diversität, zur Vereinbarkeit von Beruf- und Privatleben oder zu Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz. Zu Indikatoren aus dem Governancebereich zählen Kennzahlen zu Anti-Korruptionsbelangen oder das Vertrauen in Führungsqualitäten, das durch Mitarbeiter:innenbefragungen ermittelt werden kann. Zu beachten gilt dabei zum einen, dass Nachhaltigkeitskennzahlen und Geschäftsstrategie miteinander im Einklang stehen sollten. Zum anderen sollten unternehmensspezifische ESG-Kennzahlen verständlich, relevant und überprüfbar sein. Um darüber hinaus Vergleichbarkeit am Markt herstellen zu können, kann bei der Wahl der Nachhaltigkeitsziele ein Vergleich innerhalb der Peer-Gruppe sinnvoll sein.
„Der ambitionierte European Green Deal schreibt die Verantwortung für nachhaltiges Wirtschaften groß und stärkt sukzessive Rechenschafts- und Transparenzpflichten für eine immer größere Anzahl von Unternehmen“, betont Christina Wieser abschließend. „Durch die CSRD wird die Berichterstattung über Nachhaltigkeitsinformationen den Interessenträger:innen und damit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht, was bedeutsame Auswirkungen für die Rekrutierung von potenziellen Mitarbeiter:innen und die Reputation des Unternehmens zur Folge haben kann.“
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