Anian Gruber; © BINDER GRÖSSWANG

BINDER GRÖSSWANG: Die Lieferkettenregulierung rollt nun in großen Schritten auf österreichische Unternehmen zu! (Interview)

Anian Gruber, Rechtsanwalt im Regulatory-Team der Kanzlei Binder-Grösswang Rechtsanwälte, gibt ein Update über die aktuellen Entwicklungen der Lieferkettenregulierung auf europäischer Ebene.

Die regulatorischen Anforderungen steigen und stellen viele Unternehmen vor große Herausforderungen. Gerade die verpflichtenden Nachhaltigkeitsstandards machen unternehmerisches Handeln immer anspruchsvoller, sagt Rechtsanwalt Anian Gruber.

Aktuell stehen unternehmerische Lieferketten vermehrt im Fokus. Um was geht es dabei konkret?
Das Thema Lieferketten ist brandaktuell. Erst kürzlich, im März 2024, haben sich die Mitgliedstaaten nach langem Hin und Her nun endgültig auf eine EU-Lieferketten-Richtlinie geeinigt.

Dabei sollen Unternehmen für ihre Lieferketten Verantwortung übernehmen und negative Auswirkungen auf Umwelt und Menschenrechte bekämpfen.

Welche Unternehmen sind von der geplanten EU-Lieferketten-RL betroffen?
Der Adressatenkreis wurde heftig diskutiert. In letzter Minute hat man sich im politischen Prozess auf einen engeren Anwendungsbereich geeinigt. So sind nur noch Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einen Jahresumsatz von mehr als EUR 450 Mio direkt betroffen, und dies auch nur mit folgender Einschleifregelung:

  • ab 2027: Unternehmen mit über 5.000 Beschäftigten und einem Umsatz iHv EUR 1.5 Mrd
  • ab 2028: Unternehmen mit über 3.000 Beschäftigten und einem Umsatz iHv EUR 900 Mio
  • ab 2029: Unternehmen mit über 1.000 Beschäftigten und einem Umsatz iHv EUR 450 Mio

Alle anderen Unternehmen können und werden voraussichtlich indirekt betroffen sein, indem sie von den unmittelbar verpflichteten Lieferanten / Kunden im Interesse der Compliance “eingespannt“ werden. Viele Unternehmen spüren diese mittelbaren Auswirkungen schon jetzt: In einigen Mitgliedstaaten wie z.B. Deutschland und Frankreich, existieren ja bereits nationale „Lieferkettengesetze“.

Wie wirkt sich das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) konkret auf österreichische Unternehmen aus?
Gerade Deutschland ist für Österreich eines der wichtigsten Exportländer. Wir sehen in unserer Beratungspraxis immer häufiger, dass österreichische Zulieferer mit Anfragen und Verpflichtungserklärungen von deutschen Kunden konfrontiert werden. Dies reicht von bloßen Auskunftsersuchen bis hin zu verbindlichen Zusicherungen.

In diesem Zusammenhang sollen österreichische Zulieferer z.B. einschlägige Codes of Conduct oder jederzeitige Auditrechte akzeptieren. Auch wiederkehrende obligatorische Mitarbeiterschulungen werden immer öfter gefordert. Hinzu kommen in den meisten Fällen noch Verpflichtungen zur Weitergabe einschlägiger Sorgfaltspflichten an die eigenen Geschäftspartner. Dieser Trickle-Down-Effekt ist im Jahr 2024 noch spürbarer. Ein wichtiger Treiber ist dabei, dass seit 1. Jänner 2024 mehr deutsche Unternehmen in den Anwendungsbereich des deutschen LkSG fallen.

Welche Pflichten kommen mit der EU-Lieferketten-RL auf heimische Unternehmen zu?
Größere Unternehmen werden Sorgfaltspflichten erfüllen müssen, um Verstöße gegen Umwelt und Menschenrechte in ihren Lieferketten zu vermeiden bzw. deren Auswirkungen zu minimieren. Dazu müssen betroffene Unternehmen eine laufende Risikoanalyse, ein wirksames Risikomanagement sowie ein Beschwerdeverfahren implementieren. Hinzu kommen Überwachungs- und Berichtspflichten sowie eine verpflichtende Unternehmensstrategie, die im Einklang mit den EU-Klimazielen stehen muss.

Ab wann gelten diese Regelungen?
Nachdem eine Einigung im EU-Rat bereits erfolgt ist, muss die EU-Lieferketten-RL nun noch vom EU-Parlament beschlossen werden – eine erste Abstimmung findet vermutlich im April 2024 statt. Sobald die EU-Lieferketten-RL in Kraft ist, müssen die EU-Mitgliedstaaten diese innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umsetzen.

Was sollten österreichische Unternehmen beachten?
Einerseits sollten österreichische Zulieferer genau prüfen, welche vertraglichen Verpflichtungen sie gegenüber ihren Kunden eingehen wollen und können. Anderseits ist es wichtig, sich mit den konkreten Anforderungen der bevorstehenden Lieferkettenregulierung bereits jetzt auseinanderzusetzen.

Bei Verstößen drohen massive Sanktionen: Neben Bußgeldern (bis zu 5% des Jahresumsatzes), Ausschluss bei Vergabeverfahren oder Nichtgewährung von öffentlichen Beihilfen droht auch eine negative mediale Berichterstattung. Solche teils „schmerzhaften“ Reputationsschäden sollten bestmöglich vermieden werden.

Gibt es weitere Lieferkettenbestimmungen, die Unternehmen beachten müssen?
In der Tat gibt es neben der EU-Lieferketten-RL weitere (oft produktbezogene) Bestimmungen, die Unternehmen beachten müssen. Prominente Beispiele sind etwa die EU-Konfliktmineralienverordnung, die Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung  von Unternehmen (CSRD) oder die Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten.

Sind die Anforderungen der EU-Lieferketten-RL für Unternehmen überhaupt noch zu stemmen?
Natürlich kann man diskutieren, inwiefern die Sorgfaltspflichten praktikabel und angemessen sind. Die Anforderungen der Lieferketten-Compliance steigen für Unternehmen erheblich an und bringen das Risiko der Sanktionierung mit sich. Gerade die Verantwortlichkeit für die gesamte vor- und nachgelagerte Wertschöpfungskette, welche mit der EU-Lieferketten-RL eingeführt werden würde, ist sehr weitreichend und für Unternehmen teilweise schwer umsetzbar.

Dennoch darf man nicht vergessen, dass „nur“ eine Bemühungspflicht für Unternehmen besteht. Sollte es innerhalb der Lieferkette zu Umwelt- oder Menschenrechtsverletzungen kommen, greift die Verantwortlichkeit nur bei Missachtung der Sorgfaltspflichten, also nicht automatisch. Dieser risikobasierte Ansatz wurde im finalen Text der EU-Lieferketten-RL deutlich betont. Die gute Nachricht ist, dass Unternehmen jetzt noch genug Zeit haben sich auf die neuen Herausforderungen vorzubereiten. Die Implementierung entsprechender Compliance-Strukturen, gerade im Bereich der Lieferkette, wird in Zukunft einen (noch) wichtigeren Teil des unternehmerischen Handelns darstellen.

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