Das gemeinsame Interesse bestimmt die Richtung
Autor: Dr. Christian Fuchs, MBA, CSE (Beiratsmitglied Leitbetriebe Austria)
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Eine Bestandaufnahme steht immer an erster Stelle, wenn es gilt, eine Strategie festzulegen und diese mit sinn- und nutzbringenden Agenden auszustatten. So auch bei Familienunternehmen. Die Familie legt in diesem Schritt fest, ob es als Familienunternehmen gemeinsam weitergeht oder nicht.
Fakt ist auch: Nur eine starke Familie, die sich ihrer Ziele und Gemeinsamkeiten bewusst ist, wird den Weg vom Familienunternehmen zur Unternehmerfamilie bewältigen. Die dafür erforderliche Handlungsfähigkeit besteht aus einer wichtigen Anzahl von Indikatoren, die die Geschlossenheit einer Familie manifestieren soll und schlussendlich auch muss, wenn gemeinsam die Richtung zum Fortbestand eingeschlagen wird. Es sind dies die Traditionen, Werte, Ziele, Regeln, Institutionen und Rollen. Ebenso das abgestimmte, gemeinsame Interesse zum Unternehmen und zur Familie.
Lassen Sie uns heute einen Blick auf die Traditionen und Werte werfen.
Traditionen, Rituale und Bräuche geben Menschen Stabilität und Sicherheit. Sie halten Menschen als Gemeinschaft zusammen. Dabei verbinden sie nicht nur unterschiedliche Generationen miteinander, sondern bieten Menschen ein bestehendes Netzwerk. Sie bleiben lebendig, wenn sie gepflegt werden und sind vergleichbar mit dem Wurzelwerk eines starken Baumes. Auch dieser ist bei stürmischem Wind standfest.
Die Tradition stellt ein sehr wichtiges Stück Kultur dar. Sie neigen dazu, das Fundament unserer Familien und unserer Gesellschaft zu strukturieren. Diese Traditionen erinnern die Menschen an die Geschichte, dass sie Teil davon sind, was uns zu dem gemacht hat und was wir heute sind.
Tradition ist Ausdruck von Stolz über den erreichten Erfolg in der Unternehmensentwicklung und bildet die stärkende Basis für das Selbstbewusstsein und die nötige Motivation für die Herausforderungen der unternehmerischen Gegenwart und Zukunft. Es ist Zeichen von Bewährung und Bewahrung von unternehmenstypischen Handlungskonzepten und -werten.
Im Kontext von Familienunternehmen stellen die Traditionen einen Fundus von historischen Gemeinsamkeiten dar. Sie erleichtern einer Familie, die Gemeinsamkeiten und Ziele zu erkennen und mit Leben zu erfüllen. Im Rahmen der Bestandsaufnehme ergibt sich auch die Gelegenheit, diese zu überprüfen und gegebenenfalls einer Weiterentwicklung zuzuführen.
Die Traditionen umfassen die Summe der ungeschrieben Regeln und Bräuche einer Familie. Dazu gehören beispielsweise auch die Verhaltensweisen und Eigenarten, die bereits für den Gründer typisch waren. Das Unternehmen und die Strukturen im Unternehmen sind meistens besonders durch die Persönlichkeit des Gründers geprägt Die Bindungswirkung von Traditionen darf nicht unterschätzt werden. Wenn die jüngere Generation auf die Fragen: Wofür stehen wir? Was verbindet uns? Was tun wir und was tun wir nicht? keine Antworten findet, dann besteht die Gefahr, dass das Fundament der Familienidentität starke Risse bekommt und schlussendlich zerbricht.
Namhafte Unternehmen haben sich diesen Fragen gestellt.
Die Familie Querfeld, die mit unternehmerischem Pioniergeist seit 1976 Wiener Kaffeehaustradition an 10 Standorten mit 350 Mitarbeitern betreibt. Wahrscheinlich alle Reiseführer weltweit haben das Flaggschiff der Familie, das Café Landmann in Wien, in die empfehlenswertesten Plätze Wiens aufgenommen.
Familie Retter aus Pöllauberg in der Steiermark zeichnet sich für ein mannigfaltiges Unternehmenskonstrukt verantwortlich. Dies umfasst das Biohotel Retter als auch einen Reise- und Eventbetrieb und ein Linien- und Transportunternehmen. Das Unternehmen Retter zählt zu den attraktivsten Arbeitgebern in der Region und auch weit darüber hinaus.
Die HEL-Wacht Holding der Familien Landertshammer & Kritsch wurde aus einer kleinen Detektei im Jahre 1899 zu einem der führenden Sicherheitsdienstleister ausgebaut. Das Unternehmen umfasst neben dem Bewachungsbetrieb auch noch die Geschäftsbereiche Sicherheits- und Kommunikationstechnik, Autogeosec Fahrzeug & Gebäudekommunikationstechnik, die Alcomtec Aufzugsmanagement & -Notruf und die Vitakt Sozialer Notrufdienst. Die Familie fühlt sich der Weitergabe von Generation zu Generation verpflichtet.
In der Familie Scheiblhofer übernahm im Jahr 2000 Erich Scheiblhofer das Weingut von seinem Vater Johann Scheiblhofer, der den Betrieb mit der bekannten Rotweinmarke „Big John“ aufbaute. Ungefähr 15 % der Gesamterzeugnisse von Scheiblhofer werden innerhalb von Europa inklusive der Schweiz sowie nach China exportiert. Das Weingut beschäftigt derzeit über 70 Mitarbeiter und ist ein wichtiger Arbeitgeber im Burgenland.
Berndt Querfeld, Ulli Retter, Rainer Kindelmann (Geschäftsführer HEL-Wacht) und Erich Scheiblhofer in Gedanken über die essentiellen Fragen zur TRADITION:
Die harmonische Verbindung von traditionellen Werten und den Veränderungen einer globalen Wirtschaftswelt ist für viele Familienunternehmen eine Herausforderung. Doch gerade jetzt könnte die Wahrung stabiler Werte zum entscheidenden Erfolgsfaktor werden.
Nachdem sie lange Zeit als Symbol altmodischer Wertvorstellungen und überholter Wirtschaftskonzepte galten, hat sich das Image von Familienunternehmen in den letzten Jahren deutlich verändert. Tradition und verantwortliches Handeln werden nunmehr als ein Ergebnis authentischen, nachhaltigen Planens gesehen, das Stabilität und Qualität bringt.
Traditionen können Sicherheit vermitteln. Die Verantwortung, die in einem Familienunternehmen von Generation zu Generation weitergegeben wird, zeigt Beständigkeit in der heutigen Welt, die voll ist von Unsicherheit und Übermaß.
Die in der Unternehmenshistorie gewachsenen Erfolgsrezepte, die in die Zukunft fortgeschrieben werden, geben dem Unternehmen scheinbar nachhaltig Orientierung, können aber durchaus ambivalent sein, wenn sie bspw. die Handlungsoptionen systematisch beschränken sollten und nicht entsprechend flexibel interpretierbar sind.
Tradition schafft Vertrauen – der Kunde weiß, dass er richtig liegt, wenn er ein Produkt kauft oder eine Dienstleistung in Anspruch nimmt, das oder die seit vielen Jahren erfolgreich im Markt ist und auch schon von den Eltern und sogar von den Großeltern bestellt und wertgeschätzt wurde. Familienunternehmen ihrerseits halten in der Regel gern an diesen Traditionen fest, bürgen sozusagen mit ihrem Namen für eine gleichbleibend hohe Qualität und stehen darüber hinaus auch häufig für ein Verantwortungsgefühl, das über die Produktion von Waren und den angebotenen Dienstleistungen weit hinausgeht.
Tradition bedeutet jedoch, offen für Innovation und aktuellen Strömungen zu sein. Wenn dem nicht so ist, wird die Tradition beendet und ein Schlussstrich unter das Bestehen des Unternehmens gesetzt.
Traditionen finden sich augenscheinlich ganz banal bei Wahlsprüchen „Geht nicht, gibt´s nicht“ oder auch „Einmal Weinbauer, immer Weinbauer“. Ebenso die gemeinsamen Aktivitäten in der Familie. Sei dies der gemeinsame Winterurlaub zur selben Zeit am selben Ort. Natürlich auch das besondere Verhältnis zur Belegschaft. Die Kinder der Mitarbeiter werden bevorzugt bei der Einstellung behandelt als auch die Einbindung der leitenden Mitarbeiter in Familienaktivitäten.
Traditionen verpflichten, aber man sollte auch wissen, wann es genug ist. Man darf die Augen nicht verschließen und sowohl die Technik einziehen lassen als auch den Werten der jungen Generationen Platz einräumen.
Tradition bewegt sich unablässig im Spannungsfeld von Routine und Innovation. Der Umgang mit Tradition muss, so ist zu vermuten, also bedächtig sein und sorgsam erfolgen.
Langfristiger Erfolg in Familienunternehmen stellt sich nur ein, wenn sich Geschäftsmodelle verändern und nicht Tradition zum Geschäftsmodell erklärt wird. Erfolgreiche Familienunternehmen agieren aus einer generationsübergreifenden Perspektive. Eine Eigenschaft von erfolgreichen Familienunternehmen ist ihre Langlebigkeit. Das Durchschnittalter liegt bei 78 Jahren. Wenn ein Unternehmen fünf Generationen überdauert hat, dann nimmt die Gefahr einer misslungenen Übergabe an den Nachfolger exponentiell ab.
Es zeigt sich auch hier, dass die langfristige Unternehmenssicherung wichtiger ist, als kurzfristige Gewinnmaximierung. Wachsen zu können und nicht zu müssen, ist eindeutig gesund. Tradition ausgestattet mit dem Wissen und der tiefen Überzeugung, diese zu ehren und generationsübergreifend mit der nötigen Adaptierung für eine erfolgreiche Ausrichtung weiterzugeben.
Die PFH Private Hochschule Göttingen und das dort angesiedelte ZE Zentrum für Entrepreneurship haben in einer Studie zum Traditionsbewusstsein in Familienunternehmen in fünf Hypothesen das Traditionsbewusstsein und der damit verbundenen Fragestellungen unter die Lupe genommen. (Bernhard H. Vollmar, Tradition matters! Studie zum Traditionsbewusstsein in Familienunternehmen, PFH Private Hochschule Göttingen)
Ein grundsätzliches Ziel der vorliegenden Studie war es zu überprüfen, wie das Traditionsbewusstsein und -verständnis in Familienunternehmen, im Speziellen in Deutschland ausgeprägt ist. Erfahrungsgemäß können die Ergebnisse auch auf die gegebenen Strukturen im gesamten DACH Raum in Betracht gezogen werden.
Fakt ist, dass sich einige der Einschätzungen zur Rolle und Wirkung von Tradition mit Blick auf Familienunternehmen, in dieser Klarheit nicht bestätigt werden konnten.
Hypothese 1: Die harmonische Verbindung von traditionellen Werten und den Veränderungen einer globalen Wirtschaftswelt ist für viele Familienunternehmen eine Herausforderung.
Tradition auf der Werte- und Handlungsebene zu erhalten und zu pflegen, lässt sich nicht als besondere Herausforderung für Familienunternehmen einschätzen, die sich aufgrund massiver Veränderungen der wirtschaftlichen Handlungsbedingungen ergeben könnte. Dazu wird ein zu bewusster Umgang mit Tradition gepflegt, so dass diese Aufgabenstellung als selbstverständlich aufgefasst wird. Zudem wird eine konstruktive Interpretation von Tradition gewählt. Ergebnis: nicht betätigt
Hypothese 2: Tradition ist ein Symbol altmodischer Wertvorstellungen und überholter Wirtschaftskonzepte.
Tradition wird als Motivator für die Gegenwarts- und Zukunftsgestaltung betrachtet. Bemerkenswert ist demzufolge, dass sich potenziell negative Eigenschaften und Wirkungen von Tradition nicht konstatieren lassen, weil ein entsprechendes Bewusstsein dafür entwickelt wurde, starre Denk- und Handlungsmuster im Gebrauch zu vermeiden. Auf diese Weise wird Tradition kein Hindernis für die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit von Familienunternehmen.
Hypothese 3: Familienunternehmen mit Traditionsbewusstsein haben eine starke Unternehmenskultur und ein hohes regionales Verantwortungsgefühl.
Familienunternehmen vermitteln ihre Traditionen und damit vornehmlich Werte als Bezugsbasis für das Handeln hauptsächlich an Familienmitglieder und die eigenen Mitarbeiter. Man pflegt eine „beziehungsorientierte Unternehmenspolitik des ausgewogenen Blicks“. Die Weitergabe oder Vermittlung einer besonderen Identität über das Traditionsbewusstsein spielt jedoch, anders als zu vermuten war, gegenüber Kunden und Lieferanten keine ausgeprägte Rolle. Die traditionsgeprägte Unternehmenskultur wird nicht explizit im Außenverhältnis genutzt. Auch wird Traditionspflege nicht mit einer besonderen regionalen Verantwortung in Verbindung gebracht und somit nicht emotional in dieser Richtung aufgeladen.
Hypothese 4: Ein Großteil des Erfolgs eines Familienunternehmens ist dem Traditionsbewusstsein zu verdanken.
Die kontinuierliche Anpassung und die ausgesprochene Bereitschaft der Weiterentwicklung bis zur, wenn nötig, starken Veränderung oder sogar völligen Aufgabe von traditionellen Handlungsweisen entspricht ebenfalls eher weniger der gängigen Auffassung, dass v.a. eine starre, rigide Rückbesinnung den erfolgsbringenden Faktor von Traditionen in Familienunternehmen darstellt. Traditionelle Werte werden vielmehr modern interpretiert, so dass aufgrund des flexiblen Umgangs auf der Handlungsebene keine starren Handlungsmuster entstehen, wenngleich die Handlungen im Rekurs auf die Werteebene erfolgen.
Hypothese 5: Aufgrund der starken Traditionsorientierung bedarf die Vermittlung des Unternehmergeists an die nächste Generation einer langen Vorlaufzeit.
Tradition lässt sich, im Einklang und in Erweiterung mit den bisherigen Vorstellungen, auf der Werte- und Handlungsebene vor allem in einer Orientierung an bestimmten Werten und der Aktivierung bestimmter Handlungsmuster ausmachen. Die klare Mehrheit der befragten Unternehmen definiert in ihrem Verständnis von Tradition vor allem bestimmte Werte als Hauptbestandteil des Traditionsbegriffes. Die Weitergabe dieser findet, zwischen Generationen, in Familienunternehmen besonders erfolgreich statt. Traditionen und Traditionsbewusstsein in Familienunternehmen zeichnen sich vor allem in einem besonderen Willen zum nachhaltigen Erfolg aus: D.h. eine Weitergabe und Ausrichtung von bestimmten Grundpfeilern des reichen Erfahrungsschatzes erfolgt mit der Gewissheit, dass die nächste Generation, selbst bei gravierenden Änderungen der vorhandenen Tradition, das Unternehmen auf Erfolgskurs halten wird. Dafür nimmt man sich bewusst viel Zeit. Die Weitergabe und Erhaltung dieses Erfolgsverständnisses und auch dieser Erwartung, die einen besonderen Unternehmergeist ausmachen, kennzeichnen der durchgeführten Erhebung zufolge das aktuelle Traditionsverständnis in Familienunternehmen.
Weiter zu Teil 2 – Werte in Familienunternehmen
(Quellen: siehe PDF)