Binder Grösswang lud am 16. November 2023 im Rahmen der Fintech Week zur Podiumsdiskussion mit hochkarätigen Expert*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und der Finanzmarktaufsicht.
Zu den Chancen und Risiken des Einsatzes von künstlicher Intelligenz (AI) im Finanzwesen diskutierten Gerda Holzinger-Burgstaller (CEO der Erste Bank Oesterreich), Anna Muri (Senior-Spezialistin für IT-Risiko-Aufsicht der FMA), Michael Landolt (Chief Digital & Information Officer der UniCredit Bank Austria), Jörg Egretzberger (CEO von Trustbit) und Žiga Škorjanc (Universität Wien, Institut für Innovation und Digitalisierung im Recht). ORF-Moderatorin Rosa Lyon führte durch die Diskussion.
Die Veranstaltung fand im Rahmen der Fintech Week in Kooperation mit dem Bankenverband und Fintech Austria statt.
„AI wird den Finanzmarkt wesentlich beeinflussen. Neben den zahllosen Chancen sind aber auch die Risiken und das sich weiterentwickelnde regulatorische Umfeld im Auge zu behalten. Mit der heutigen Veranstaltung wollen wir einen wichtigen Beitrag zur Diskussion leisten“, sagt Stephan Heckenthaler, Initiator des Events und Partner im Banking & Finance Team bei Binder Grösswang.
„Die Finanzbranche erlebt einen Wandel, der stark von Innovationen und Digitalisierung geprägt ist. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz ist die konsequente Fortsetzung dieses Weges. Allerdings: Nicht alles, was möglich ist, ist auch gleichzeitig eine Verbesserung für Unternehmen. Wir beraten unsere Mandanten schon lange zu rechtlichen Fragen bezüglich AI und freuen uns darauf, diese Themen im Rahmen der impulse-Veranstaltung auch mit Expert*innen aus anderen Bereichen zu diskutieren“, so Managing Partner Andreas Hable.
In einem Punkt waren sich alle Panel-Teilnehmer*innen einig: Der Einsatz von AI wird selbstverständlich werden. In Unternehmen gilt es – so nicht ohnehin schon erfolgt –, sich mit diesem Thema intensiv auseinanderzusetzen.
Als erstes österreichisches Finanzunternehmen startet die Erste Bank eine Finanz-KI zur spielerischen und leicht verständlichen Vermittlung von Finanzwissen. Zum Einsatz kommt ein hoch entwickelter textbasierter Chatbot, der natürliche Sprache nutzt. „Unser Prototyp ersetzt keine Beratung, aber wir unterstützen damit Menschen niederschwellig und spielerisch dabei, ihre finanzielle Gesundheit zu verbessern. Mit dem Financial Health Prototype experimentieren wir mit einem weiteren Baustein, um die Komplexität der Finanzwelt aufzulösen“, erklärte Gerda Holzinger-Burgstaller, CEO der Erste Bank Oesterreich. „AI ist ein innovatives Experiment, das uns als Unternehmen dazu gezwungen hat, uns unter Einbindung der Vertriebs-, Compliance- und Rechtsabteilung mit AI zu befassen.“ Von der künftigen Schlüsselrolle künstlicher Intelligenz im Bankwesen ist sie überzeugt: „Es wird in der nahen Zukunft keine Kundenbeziehung mehr geben, wo diese nicht hineinspielt.“
Eine Einschätzung, die auch Michael Landolt, Chief Digital & Information Officer der UniCredit Bank Austria, teilt: „Entwicklung und Richtung sind ganz klar: AI ist gekommen, um zu bleiben – und gerade in Europa ist es wichtig, sich jetzt nicht zurückzulehnen und auf die Regulierung zu warten.“ Vielmehr gelte es, die unterschiedlichsten Tools zu nutzen, denn „die anderen werden dies tun und sich damit einen Wettbewerbsvorteil verschaffen“. Konkrete Projekte rund um AI gibt es laut Landolt bereits auch bei der Bank Austria – unter anderem intern, wenn es zum Beispiel darum geht, Marketingkampagnen zu vereinfachen oder die Erstellung von Protokollen zu automatisieren. „Gerade bei repetitiven Tätigkeiten wie letzterer wird AI künftig eine große Rolle spielen“, so Landolt, der auch großes AI-Potenzial bei der Weiterentwicklung von Online- und Mobile Banking sieht.
Mit der fortschreitenden Digitalisierung und der damit verbundenen rasanten Weiterentwicklung von AI wächst aber auch das Risiko, Opfer einer Cyberattacke zu werden, gab Anna Muri, Senior-Spezialistin für IT-Risiko-Aufsicht der FMA, zu bedenken. „Der Finanzmarkt ist bekanntermaßen ein besonders beliebtes Ziel für Cyberkriminalität, und diese könnte durch AI noch einmal signifikant steigen, sowohl was die Quantität als auch was die Qualität anlangt – insofern ist AI auch für uns hochrelevant, und wir legen darauf ein starkes Augenmerk.“ Weiters führte Muri aus, dass die FMA bei der Aufsicht – auch jetzt schon – einen technologieneutralen Ansatz verfolgt. „Wenn z. B. ein Unternehmen Robo-Advice anbietet, dann wird dieses System auf die Einhaltung der Vorschriften der Market in Financial Instruments Directive (MiFID) überprüft – egal, ob es sich dabei um ein AI-basiertes System handelt oder nicht. Das wird sich nicht ändern, aber insofern hat die FMA hier schon Aufsichtserfahrung“, so Muri, die auch betonte, dass die FMA Technologie keinesfalls bremsen wolle.
Die Antwort der Europäischen Union auf Risiken durch künstliche Intelligenz ist der Artificial Intelligence Act (AI Act). „Mit dieser Verordnung will die EU eine rechtliche Grundlage für die Entwicklung und den Einsatz von AI schaffen, um mögliche Schäden, die durch AI entstehen können, abzuwenden oder zu minimieren“, führte Žiga Škorjanc von der Universität Wien, Institut für Innovation und Digitalisierung im Recht, aus. Weiters sollen mit dem AI Act in der gesamten EU einheitliche Regeln für den AI-Markt eingeführt werden, damit diese Technologie in der EU besser Fuß fassen kann. Nach Einschätzung des Rechtsexperten „sollte die finale Fassung des AI Acts hoffentlich spätestens bis zur Europawahl im Juni 2024 stehen, danach folgt aber noch eine Übergangsfrist von 24 bis 36 Monaten“. Die Einführung einer solchen Regulierung könne für Europa durchaus einen Wettbewerbsvorteil bedeuten.
Die Einschätzung am Panel, dass AI Unternehmen einen klaren Wettbewerbsvorteil verschafft, wenn man sich heute damit beschäftigt, teilt auch Jörg Egretzberger, CEO von Trustbit. „AI unterstützt uns dabei, effizienter, reaktionsschneller und personalisierter zu agieren. Zudem können wir uns durch den Einsatz von AI auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist.“ Als zentral für einen erfolgreichen Einsatz von AI sieht Egretzberger die Festlegung einer Strategie und deren konsequente Umsetzung im Unternehmen. Die Entwicklung von AI ist rasant, und damit schwingt auch schon die Frage mit, was der nächste große Trend sein wird: „Stichwort Conversational AI: Hier wird sich in naher Zukunft viel tun – um nur ein Beispiel zu nennen. Weiters gibt es bereits jetzt einen starken Trend zu Lösungen aus dem Open-Source-Bereich, eine große Konkurrenz für ChatGPT“, so der IT-Experte. Die Veranstaltungsreihe Binder Grösswang impulse fand in der Conference Area der Kanzlei statt. Dass das Thema hochaktuell ist, zeigten die zahlreichen Gäste, die rege Beteiligung an der Diskussion sowie die intensiven Gespräche beim anschließenden Get-together