Robert Machtlinger, CEO / Copyright: FACC Gortana

Interview mit Robert Machtlinger, CEO FACC: Europäisch denken

Robert Machtlinger, CEO des Aerospace-Technologiekonzerns FACC, spricht mit Leitbetriebe Austria-Geschäftsführerin Monica Rintersbacher über das Integrieren von bisher zugekauften Teilen in die eigene Produktion, Planbarkeit und die Notwendigkeit die Lehrlingsausbildung besser zu bewerten.

Monica Rintersbacher: Ein großes Thema – auch für Sie – ist die Mitarbeiterentwicklung. Wird das Insourcing noch weiter ausgebaut werden? Welche Bereiche haben Sie in das Unternehmen zurückgeholt?

Robert Machtlinger: Lassen Sie mich dazu die Zahlen aus unserem letzten vollen Geschäftsjahr als Richtschnur nehmen: Bei einem Jahresumsatz von knapp 790 Millionen Euro haben wir um 160 Millionen Euro Leichtbaukomponenten aus verschiedenen Ländern zugekauft. Wir wollen nicht alle diese Projekte zurückholen, denn wir fertigen natürlich auch aus strategischen Ansätzen in Ländern wie in Abu Dhabi oder in Indien. Es gibt aber auch Produkte, die nicht aus strategischen Gründen outgesourct wurden, sondern aus Gründen des Facharbeitermangels, mit dem wir noch bis vor Kurzem zu kämpfen hatten. Oder auch aufgrund unserer damals voll ausgelasteter Kapazitäten. Hier haben wir beschlossen, eine Handvoll Projekte wieder inzusourcen. Damit können wir 150 FACC-Spezialisten-Jobs absichern. Dank höherer Automatisierung und Digitalisierung produzieren wir mit besserer Effizienz und kostengünstiger im eigenen Haus.

Ein zweiter bedeutender strategischer Schritt ist, dass wir verstärkt „vertikal integrieren“. Seit dem Bestehen von FACC haben wir alles außer unserer Kernkompetenz „Composite“ auf dem Markt zugekauft. 55 Prozent unseres Volumens sind Zukaufteile, die wir bisher zu 100% extern beschafft, veredelt oder in unsere Leichtbausysteme integrieret haben. Dabei handelt es sich zum einen um Metallbeschläge im Strukturbereich zum anderen um Möbel für Passagierkabinen. Das Zukaufvolumen beträgt aktuell rund 120 Millionen Euro pro Jahr. 40 oder 50 Millionen davon wollen wir zukünftig nicht mehr zukaufen, sondern in Eigenfertigung herstellen. In den letzten Monaten haben wir umfangreiche Investitionen getätigt, um das Insourcing und die vertikale Integration in den Werken zu implementieren. Diese Maßnahmen bringen neben einer Versbesserung der Kostenstruktur auch den zusätzlichen Vorteil, dass wir unseren Kunden jetzt „alles aus einer Hand“ anbieten können und damit unsere Attraktivität am Markt steigern.

Sie haben Ihre Wettbewerbsfähigkeit gesichert. Um das zu erreichen und insourcen zu können, mussten Sie aber erst Geld in die Hand nehmen?

Absolut. In den ersten sieben Monaten Corona-Krise haben wir 12 Millionen Euro investiert. Wir sehen darin ein wichtiges Zukunftsinvestment. Nur hier zu sitzen und zu sagen, „jetzt haben wir ein Problem“, ist nicht zielführend. Um auf die Krise zu reagieren, haben wir drei wesentliche Punkte festgelegt: Wir arbeiten daran, die Wertschöpfung am Standort zu erhöhen. Das geht zum einen, indem wir bestehende Projekte absichern. Denn diese Aufträge sind ja Corona bedingt nicht verloren gegangen, es sind nur die Kundenabrufe zurückgegangen. Der zweite Schritt ist, einen Teil jener Produkte zu FACC zurückzuholen, die – aus guten Gründen – vor der Krise extern in Unterauftrag gefertigt wurden. Damit erreichen wir eine hohe Auslastung der Anlagen. Und hier erweitern wir im nächsten Schritt auch unseren Horizont, bauen mit gezielter vertikaler Integration von Prozessen unsere Position sukzessive aus und können so unsere Wertschöpfungsanteile deutlich steigern. Mit diesen Vorhaben sind wir schon gut vorangekommen. Die metallische Fertigung startete bereits heuer im Juni und wird laufend weiter ausgebaut. Die ersten Insourcing-Projekte haben wir im Oktober implementiert. Hier planen wir, in den Jahren 2020 und 2021 weitere Projekte in die Eigenfertigung zu übernehmen.

Heißt das, dass die ergriffenen Maßnahmen nachhaltig aufgesetzt sind? Wenn eine neue Normalität einsetzt, ist es nicht der Plan wieder outzusourcen, sondern mit einer wachsenden Auftragslage auch die Fertigung hier im Land wachsen zu lassen?

Ja, natürlich. Vor allem rund um die metallischen Leichtbaukomponenten, die wir jetzt inhouse fertigen, ist ein umfassendes Know-how entstanden. Dadurch können wir dem Markt als Komplettanbieter ganz anders gegenübertreten.

Konnten Sie in Ihrem Unternehmen im Lockdown einen Digitalisierungsschub feststellen oder waren Sie schon ausreichend gut aufgestellt?

Wir haben schon vor der Krise verstärkt Augenmerk daraufgelegt, wie wir Prozesse digitaler gestalten können. Darauf basierend erfolgten die Ausgestaltung und Umsetzung der optimierten Prozesslandschaft Anfang 2020. Corona hat uns auch eine neue Art der Kommunikation und den intensiven Austausch über digitale Medien gelehrt. Nun merken wir aber mehr und mehr, dass das Akquirieren neuer Kunden über virtuelle Meetings nur schwer funktioniert. Um nicht zu sagen: es ist fast unmöglich. Hier ist und bleibt der persönliche Kontakt unerlässlich.

Auch anderweitig wurde uns bestätigt, dass Exporte oder Geschäfte ausschließlich über digitale Kommunikation und ohne gegenseitigen, persönlichen Besuch und fachkundigen Austausch nicht funktionieren. Wie die Exportgeschäfte die nächsten Jahre ablaufen werden ist ungewiss. Was sind hier Ihre Erfahrungswerte?

Schon vor Corona war unsere Logistik durchdacht und gut aufgestellt. Wir liefern unsere Komponenten punktgenau dort an, wo der Kunde sie benötigt oder endmontiert. In unseren Logistikzentren werden Mengen für ein bis zwei Wochen vorrätig gehalten, von dort aus werden die Kunden direkt beliefert. Ein für uns wesentliches Thema ist auch der Brexit. Wir haben rechtzeitig vorgesorgt und einen Puffer aufgebaut, mit dem wir sicherstellen, dass unsere UK-Kunden termingerecht und durchgängig bedient werden.

Bei Bestandskunden funktioniert die Akquise für Ihre großen Entwicklungsprojekte. Wie können Sie bei der Planung zukünftiger Projekte vorgehen?

Wenn FACC mit einem Kunden einen Auftrag unterschreibt, dann hat dieser in der Regel eine Laufzeit über viele –  meist zwischen 15 und 20 – Jahre. Wie viel wir mit dem Auftrag verdienen, hängt davon ab, wie viele Flugzeuge unser Kunde an Airlines verkauft. Als Technologiepartner der Aerospace-Industrie sind wir in einer Branche tätig, die sehr komplex und global vernetzt ist, und dadurch lange Vorlaufzeiten erfordert. Das gibt uns in der Regel die Möglichkeit, unsere Zukunft langfristig und gut planen zu können.

Das heißt, Sie sind grundsätzlich schon ganz gut ausgebucht?

Naja, wir haben jetzt mit Stand Dezember Corona bedingt im Verlauf des Geschäftsjahres eine viertel Milliarde Umsatz verloren. Der Markt ist um 30 Prozent geschrumpft. Wenn ich jetzt mit meinem Unternehmen wachsen will, muss ich dem Markt etwas Anderes, Besseres liefern als die Konkurrenz. Momentan geschieht das durch das Verdrängen eines Mitbewerbers – zum Vorteil des Kunden. Hier sehen wir einen großen Unterschied zur Krise Anfang der 2000er-Jahre. Damals gab es viele Flugzeugneuentwicklungen, von der A380 über die A350 bis hin zur Boeing 787. Heute gibt es zwar ausschließlich neue moderne Flugzeuge, aber mit der Ausnahme China keine neuen Entwicklungsprogramme. Als Option bleibt, Bestehendes absichern, sich gegen Mitbewerber durchsetzen und in neue Kunden und Märkte investieren.

Wenn Sie an die nächsten ein bis zwei Jahre denken, geht es da mehr um Stabilisierung oder Wachstum?

Beides. Bis August ging es zu 100 Prozent ums Absichern. Darum, den Markt neu zu bewerten und zu akzeptieren. Hier waren wir zügig in der Umsetzung. Seit September und die nächsten 18 Monate geht es ums Stabilisieren. Wir werden im Geschäftsjahr 2020 ungefähr eine halbe Milliarden Umsatz erzielen. Im nächsten Jahr werden wir dieses Niveau halten, auch dabei geht es vorrangig um Stabilisierung. Erst ab 2022 gehen wir wieder von einem schrittweisen Wachstum aus.

Mit welcher Sicherheit können Sie hier vorgehen – kann diese Planung noch erschüttert werden?

Es gibt eine große Unbekannte: Ab wann ist interkontinentales Reisen wieder möglich? Waren mit Luftfracht um die Welt zu schicken, funktioniert auch jetzt sehr gut. Internationale Flüge fielen in diesem Jahr jedoch fast gänzlich aus. Darunter leidet die Flugbranche. Flugzeuge sind nicht ausgelastet, Airlines schreiben Verluste. Das große Fragezeichen ist und bleibt auch 2021: Wann beginnen die internationalen Märkte wieder miteinander zu arbeiten und wann kann man sich wieder über Kontinente hinweg treffen?

Wie viele Lehrlinge haben Sie derzeit beschäftigt?

Aktuell 45. 2020 haben wir acht Lehrlinge in das FACC Future Team aufgenommen. Wir stehen auch in diesen fordernden Zeiten zur Ausbildung von Lehrlingen, wir hätten heuer sogar mehr Lehrlinge eingestellt. Ein Vorhaben, das wir mangels ausreichend geeigneter Bewerber nicht umsetzen konnten. Was mich aber glücklich macht ist, dass der Frauenanteil in unserer Lehrausbildung bei fast 50 Prozent liegt.

Sind Sie der Meinung, dass wir am Image der Lehrausbildungen arbeiten müssen?

Ja, ganz klar. Facharbeiter werden in allen Bereichen und Branchen gebraucht. Das Lebenseinkommen ist bei einer Lehrausbildung nicht wesentlich geringer, als bei einer Ausbildung auf Maturaniveau. Woran wir arbeiten müssen, ist das Image. Wir müssen darüber hinaus stärker in den Mittelpunkt rücken, dass es auch eine Lehre mit Matura gibt und dass beides in Kombination eine sehr gute Basis für einen erfolgreichen Karriereweg in einem Unternehmen ist.

Wenn Sie, aus unternehmerischer Sicht, einen Wunsch frei hätten, was würde Ihnen als erstes einfallen?

Europäisch denken. Dass wir vom lokalen Denken wegkommen und länderübergreifend Regelungen finden, die Europa helfen, die Pandemie schneller zu bewältigen. Jeder muss hier seinen Beitrag leisten. Denn, wenn jeder weiterhin sein eigenes Süppchen kocht, dann werden wir Monate länger als zum Beispiel China brauchen, um die aktuelle Krise zu überwinden.

Vielen Dank Herr Machtlinger!

www.facc.com

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