Mag. Christoph Schuh, Unternehmenssprecher APG - Austrian Power Grid AG; © APG/Carolina Burger

APG: Krisenmanagement in der Stromversorgung (Interview)

„Die Simulationen des Netzwiederaufbaus zeigen, dass im Falle eines Blackouts durch laufend beübte Netzwiederaufbaukonzepte die Stromversorgung in bis zu 24 Stunden wiederhergestellt werden kann“, erklärt Christof Schuh, Unternehmenssprecher der APG – Austrian Power Grid AG.

Im Interview mit Leitbetriebe Austria spricht er zudem darüber, wie eine sichere Stromversorgung auch in Zeiten eines erhöhten Strombedarfs gewährleistet werde kann und wie sich die APG mit international abgestimmten Präventionsmaßnahmen auf etwaige Krisen vorbereitet.

Als unabhängiger Übertragungsnetzbetreiber verantwortet die Austrian Power Grid (APG) die sichere Stromversorgung Österreichs. Wie gelingt dies in Zeiten der Energiewende und dem damit einhergehenden Mehrbedarf an Strom?
Die APG hat seit Jahren mit dem Netzentwicklungsplan (NEP) einen systematischen Aus- und Umbauplan des Übertragungsnetzes, der alle zwei Jahre an die aktuellen Zahlen angepasst wird. Der aktuelle NEP2023 umfasst ein Investitionsvolumen bis 2034 in der Höhe von 9 Mrd. € und beinhaltet zahlreiche Leitungs-, Umspannwerks-, Digitalisierungs- und Innovationsprojekte. Darüber hinaus fordert die APG schon seit Jahren ein Aktionsprogramm zur Umsetzung der leistbaren und versorgungssicheren Energiewende:

  • Fast Track-Genehmigungen für den Ausbau des Übertragungsnetzes – Beschlussfassungen ElWG und EABG
  • Abgestimmte Gesamtsystemplanung und koordinierte -umsetzung (Speicher, Netz, Produktion, Reserven, Nutzung modernster, digitaler Plattformtechnologien) 
  • Gesicherte Finanzierung durch ein modernes Regulierungssystem 
  • Schutz von Planungs- und Bestandstrassen 
  • Ausstattung der Behörden mit genügend Ressourcen

Nur wenn es gelingt, diese rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Investitionen in die Netze grundlegend zu verbessern, kann die versorgungssichere Transformation und somit die Integration der Erneuerbaren erfolgen. Ohne kapazitätsstarke Strominfrastruktur sind alle Investitionen in die anderen Bereiche des Energiesystems wirkungslos. Dies gilt es aus energiewirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Erfordernissen im Sinne eines erfolgreichen Wirtschafts- und Lebensstandorts Österreichs zu vermeiden.

In regelmäßigen Abständen werden Stromstresstests durchgeführt. Wie wird hier getestet und was waren die bisherigen Ergebnisse? Gibt es ein erhöhtes Blackout-Risiko?
Die APG hat vor Winter 2022/2023 bzw. 2023/24 die Versorgungslage Österreichs mit Strom genauer unter die Lupe genommen. Dies geschah wegen der energiewirtschaftlichen Verwerfungen aufgrund des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine. Stichwort: etwaige Gasknappheit bzw. Füllstände der Gasspeicher und daraus resultierende Risken für die Stromversorgung Österreichs. Grundsätzlich macht die APG schon seit geraumer Zeit im Rahmen der Europäischen Systemplanung der ENTSOE saisonale Vorschauen, die in Halbjahresabständen die Versorgungssituation bewerten. Sowohl die beiden Stresstests als auch die aktuellen Analysen zeigen zwar große energiewirtschaftliche Herausforderungen – Stichwort Ausbau Erneuerbare Energien und deren Integration bzw. Elektrifizierung vieler Lebensbereiche – aber keine erhöhte Blackout-Gefahr.

Welche konkreten Blackout-Präventionsmaßnahmen werden für den Fall der Fälle getroffen?
Als kritische Infrastruktur beüben wir regelmäßig mögliche Krisenszenarien gemeinsam mit anderen nationalen und internationalen Akteuren der Energiewirtschaft, mit den relevanten Gebietskörperschaften sowie den Blaulichtorganisationen. Besonders relevant dabei sind die Simulationen des Netzwiederaufbaus: diese zeigen, dass im Falle eines Blackouts durch laufend beübte Netzwiederaufbaukonzepte die Stromversorgung in bis zu 24 Stunden wiederhergestellt werden kann.

Darüber hinaus gibt es in der operativen Betriebsführung tägliche internationale Abstimmungen mit den Übertragungsnetzbetreibern der Nachbarländer über die Versorgungslage des nächsten Tages, die etwaige Risikolagen transparent machen und rechtzeitig präventive Maßnahmen – z. B. Verfügbarmachen von mehr Kraftwerkskapazitäten – einleiten lassen. Das wichtigste Asset ist jedoch unser Personal, das durch Simulatortrainings, die Anwendung von State-of-the-Art-Technologien, spezifische Schulungen und regelmäßige Krisenübungen besonders gut auf etwaige Krisen vorbereitet ist.

Dass all diese national und international abgestimmten Präventionsmaßnahmen gut funktionieren, haben wir beim letzten großen Zwischenfall in Europa am 8. Jänner 2021 gesehen: bei einem Frequenzabfall, verursacht durch den Ausfall mehrerer Betriebsmittel in einem Umspannwerk in Kroatien, konnte durch automatisierte Sofortmaßnahmen in Verbindung mit koordinierten Maßnahmen der System Operatoren binnen einer Stunde ein drohender Systemsplit in Europa verhindert und die Synchronisation des europäischen Stromnetzes erfolgreich durchgeführt werden. (Mehr Informationen zur Simulation im Video)

Bleiben wir beim Blackout-Szenario: Gibt es auch einen Kommunikationsplan bzgl. interner und externer Krisenkommunikation? Wie wird hier vorgegangen?
Grundsätzlich gibt es die Grundregeln der Kommunikation in einer Krise: Schnelle, klare, transparente und zielgenaue Kommunikation. Diese werden im individuellen Krisenfall an die jeweilige Situation angepasst und innerhalb der Krisenstabsstruktur „abgearbeitet“. Die Nutzung auch modernster Kommunikationskanäle wie Social Media, Newsletter oder aber auch die eigene Website spielen dabei eine große Rolle, da sie einen direkten Draht zu Kommunikationsmultiplikatoren darstellen. Ebenso wichtig ist die Abstimmung der Kommunikation mit den anderen Akteuren in der Krise wie Blaulichtorganisationen, den Sicherheitsministerien bzw. betroffenen Gebietskörperschaften.  Als kritische Infrastruktur ist es uns darüber hinaus besonders wichtig, die eminent wichtige Rolle der Medien in einer Krise zu nutzen. Daher gibt es gerade zu allen Medien des Landes ein regelmäßiges Update zu allen relevanten Themen der Versorgungssicherheit.  

Abschließend: Was bedeutet für Sie die Teilnahme bei Leitbetriebe Austria? Was heißt es, ein Vorbildunternehmen zu sein?
Als öffentliches Unternehmen sind wir uns der Vorbildwirkung und besonderen Verantwortung in vielen Bereichen bewusst. Die Leitbetriebe Austria sind eine Plattform, in der viele Betriebe aus verschiedensten Branchen bei ganz verschiedenen Themen Leit- und Vorbildfunktion übernehmen. Beispielhaft seien etwa die Umsetzung der Sustainable Development Goals genannt. Über diese Plattform kann Bewusstseinsbildung und Aufklärung betrieben werden und dies gemeinsam. Wir haben beispielsweise schon einige Allianzpartner für die versorgungssichere Energiewende in Österreich innerhalb der Leitbetriebe gefunden!

Vielen Dank für das Interview!

Infobox:
Als unabhängiger Übertragungsnetzanbieter verantwortet Austrian Power Grid (APG) die sichere Stromversorgung Österreichs. Mit unserer leistungsstarken und digitalen Strominfrastruktur, sowie der Anwendung von State-of-the-art-Technologien integrieren wir die erneuerbaren Energien, sind Plattform für den Strommarkt, schaffen Zugang zu preisgünstigem Strom für Österreichs Konsumentinnen und Konsumenten und bilden so die Basis für einen versorgungssicheren sowie zukunftsfähigen Wirtschafts- und Lebensstandort. Das APG-Netz erstreckt sich auf einer Trassenlänge von etwa 3.500 km, welches das Unternehmen mit einem Team von rund 850 Spezialistinnen und Spezialisten betreibt, instand hält und laufend den steigenden Anforderungen der Elektrifizierung von Gesellschaft, Wirtschaft und Industrie anpasst. Über die Steuerzentrale im 10. Wiener Gemeindebezirk wird ein Großteil der insgesamt 67 Umspannwerke, die in ganz Österreich verteilt sind, remote betrieben. Auch 2023 lag die Versorgungssicherheit, dank der engagierten Mitarbeiter:innen, bei 99,99 Prozent und somit im weltweiten Spitzenfeld. Unsere Investitionen in Höhe von 445 Millionen Euro 2024 (2023: 490 Mio., 2022: 370 Mio. Euro) sind Wirtschaftsmotor und wesentlicher Baustein für die Erreichung der Klima- und Energieziele Österreichs. Insgesamt wird APG bis 2034 rund 9 Milliarden Euro in den Netzaus- und -umbau investieren.

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