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Atomenergie und Nachhaltigkeit – wie sehen das „unsere“ ESG-Research Partner?

Der von der EU Kommission am letzten Tag des Jahres 2021 angekündigte Vorschlag, bestimmte Tätigkeiten im Zusammenhang mit Kernkraft und Erdgas durch einen ergänzenden delegierten Rechtsakt in die EU Taxonomie aufzunehmen, sorgte für großes Aufsehen. Nach anfänglichen hitzigen Debatten wurde es bald wieder etwas ruhiger rund um dieses Thema. Angesichts der angespannten Lage zwischen der EU und Russland hat die Erste AM mit ihren ESG-Research Partnern Kontakt aufgenommen, um sich über deren aktuellen Umgang in der Bewertung des Themas Atomenergie auf den neuesten Stand bringen zu lassen. So haben wir unter anderem nachgefragt,
– wie unsere ESG-Research Partner Atomenergie allgemein bewerten,
– welche Pros & Contras es aus ihrer Sicht gibt,
– wie sie unterschiedliche Sektoren, beispielsweise Energieversorger oder den Finanzbereich, dahingehend analysieren und bewerten
– und wie sie zum Thema Small Modular Reactors (SMRs) stehen.


Atomenergie – Pro & Contra
Beide ESG-Research Partner verfügen über jahrzehntelange Erfahrung in der Unternehmensbewertung. So unterschiedlich ihre Herangehensweise methodologisch auch sein mag: Beide bemühen sich um eine objektive Darstellung, die sowohl positive als auch negative Aspekte berücksichtigt, abwägt und schließlich in die Beurteilung der Nachhaltigkeitsleistung eines Unternehmens einfließen lässt. So wird Kernenergie allgemein als zuverlässige Quelle für Grundlaststrom mit minimaler CO -Emissionsintensität eingestuft. Andere Aspekte, wie die Entsorgung und Lagerung radioaktiver Abfälle, Wasserverbrauch zur Kühlung, Strahlungsbelastung durch Leckagen, regulatorische Risiken (Atomaus-, -neu- bzw. -wiedereinstieg), etc. werden dagegen negativ gesehen.


Energieversorger
Bei der Betrachtung von Energieversorgungsunternehmen wird vor allem der Energiemix in der Erzeugung bewertet. Aufgrund der geringen CO-Emissionen hat ein hoher Anteil an Atomenergie grundsätzlich einen positiven Klimaeffekt. Allerdings verringern negative Klimaeffekte wie Wasserverbrauch, Sicherheit im Betrieb (Strahlung), Entsorgung und Lagerung radioaktiver Abfälle, etc. die Bewertung. Laut ISS ESG würde eine Investitionsstrategie, die auf den Bau neuer Kernreaktoren setzt, negativ eingestuft werden. MSCI geht davon aus, dass nicht viele börsennotierte Energieversorgungsunternehmen, mit Ausnahme staatlich kontrollierter Unternehmen, in den Bau neuer Reaktoren investieren werden. Als Hauptgründe gelten regulatorische Anforderungen, ein hohes Risiko von Verzögerungen in der Planungs-, Bau- und Inbetriebnahmephase und dadurch entstehende Kostenüberschreitungen sowie die relativ hohen Kosten der Kernenergie (Stromgestehungskosten) im Vergleich zu Wind, Sonne, Gas, aber auch Steinkohle.


Finanzbereich
Zur Bewertung von Unternehmen im Finanzbereich werden von ISS ESG unterschiedliche Indikatoren, abhängig vom Geschäftsmodell, herangezogen. Gibt es Umwelt- und Sozialrichtlinien, die die Erbringung von Finanzdienstleistungen für den Kernkraftsektor und die damit verbundene Infrastruktur ausschließen, wird dies positiv gesehen. Gleiches gilt für die Finanzierung erneuerbarer Energien oder Lösungen zur Steigerung der Energieeffizienz. Ein Ausschluss von Kernenergie im Veranlagungsgeschäft wird bei allgemeinen Vermögensverwaltungsdienstleistungen, strukturierten Anlageprodukten und/oder Brokerage-Dienstleistungen positiv bewertet. MSCI geht davon aus, dass neue Atomkraftanlagen eher mithilfe staatlicher Subventionen als durch private Investitionen vorangetrieben werden.


Small Modular Reactors (SMRs)
Seit einiger Zeit nehmen Berichte über „kleine modulare Reaktoren“ zu. Unter einigen Investor:innen werden diese als mögliche interessante Investitionsmöglichkeit diskutiert. Einige EU Länder haben bereits Interesse angemeldet und auch Forschungsmittel angekündigt. Hierzu meinen unsere ESG-Research-Provider, dass sich die Entwicklung von kleinen modularen Reaktoren (SMR) noch im Anfangsstadium befindet. Man sieht zwar in jüngster Zeit einige Fortschritte in der Kerntechnik – speziell in den Bereichen SMRs, Microreactors und Kernfusion – aber bis zur Marktreife dürfte es noch einige Jahre dauern. Zu den von Befürworter:innen angepriesenen Hauptvorteilen von kleinen, modularen Reaktoren zählen u.a. niedrigere Kosten, schnellere Errichtungs- /Bauzeiten und eine flexiblere Standortwahl. Erste in Bau befindliche Projekte deuten jedoch, ähnlich wie bei vielen konventionellen Kernkraftwerken, auf beträchtliche Kostenüberschreitungen hin. Ebenfalls unklar ist noch, ob SMRs aus Kostensicht mit erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne konkurrieren werden können. Darüber hinaus ist fraglich, inwieweit die Einführung von Kernenergieanlagen durch regulatorische Anforderungen wie Designzertifizierung, Baugenehmigungen, Umweltstandards usw. gefördert oder behindert wird. Auch wenn kleine, modulare Reaktoren im Einzelfall weniger radioaktives Material enthalten, sollte man die kumulative Wirkung solcher Anlagen nicht außer Acht lassen. Auch bei diesen Anlagen ist noch zu klären, welcher Art die Abfälle sein werden, in welchen Mengen sie anfallen, wie lange sie radioaktiv sind und wie man sie fachgerecht lagert bzw. entsorgt. Schließlich muss man auch noch sicherstellen, dass bei zahlreichen dezentralen SMRs das gleiche Sicherheitsniveau gewährleistet werden kann wie bei einzelnen traditionellen Kraftwerken.

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