Wie Kreislaufwirtschaft in der Praxis funktionieren kann

Drei Jahre vor der ersten Mondlandung formulierte der Wirtschaftswissenschaftler Kenneth E. Boulding in seinem Aufsatz The economics of the coming spaceship earth das Ende der sogenannten „Ära der Cowboys“ und damit der Phase, in der der Mensch sich einfach nahm, was er wollte. Die florierende Zeit der industriellen Revolution sollte in eine sanftere und bewusste „Raumschiffwirtschaft“ übergehen. Die Menschen sollten sich als Astronauten verstehen, die die Erde als geschlossenen Raum begreifen, als „Spaceship Earth“ und somit lernen, in Balance mit allem, was ist, zu arbeiten und zu leben. Denn in einem Raumschiff bleiben alle Ressourcen immer gleich: Ob Sauerstoff oder Energie – wenn sie verbraucht sind, kommen keine neuen nach. Das ist auch auf der Erde so. Deshalb müssen wir andere Prinzipien des Wirtschaftens erdenken und erproben. Die Kreislaufwirtschaft ist eine davon.

Wie organisieren Unternehmen die zirkuläre Innovation?

Zunächst einmal muss für alle klar sein: Ein Unternehmen allein kann selten ein Kreislauf sein. Unternehmen müssen sich als ein Teil im gesamten Puzzle begreifen und andere mitnehmen. Andernfalls passiert es, dass an irgendeiner Stelle im Gesamtsystem der Abfall der gesamten Wertschöpfungskette anfällt. „Andere mitnehmen, das gelingt nie! Zu komplex!“ Keinesfalls! Wer erst einmal verstanden hat, welches Innovationspotential in der Kreislaufwirtschaft liegt, brennt darauf, zirkuläres Denken in seinem Unternehmen zu implementieren und findet jene Argumente, die auch Lieferanten und Dienstleister und nicht zuletzt Kunden überzeugen.

Produkte und Komponenten im Kreis zu erhalten und damit ihren Lebenszyklus bedeutend zu verlängern, ist das Beste, was wir tun können. Recycling ist dabei nur als letzte Strategie anzuwenden, wenn die Produkte selbst bzw. ein großer Teil der Komponenten nicht mehr wiederverwendet, repariert, nachgerüstet oder neu aufbereitet werden kann. So entstand Ende der 1990er Jahre die heute in Mitteleuropa stark verbreitete Qualitätsmarke Cradle to Cradle (C2C), als Ausdruck einer erfolgreichen Kreislaufwirtschaft. Cradle to Cradle heißt auf Deutsch „Von der Wiege zur Wiege“. Sämtliche Produkte sollen nach C2C einen technischen oder einen biologischen Kreislauf durchlaufen.

Was sind die größten Treiber im Kreislauf?
Die biologische und technische Regeneration der sogenannten Schmetterlings-Wirtschaft, wie die Kreislaufwirtschaft noch genannt wird, sind die größten Innovations-Treiber im Kreislauf. Die Ellen McArthur Foundation zeigt plakativ auf, was das – bedeutet:

„Biologische Regeneration der Verbrauchsprodukte: Lasst uns diese Produkte immer als biologische Nährstoffe betrachten. Wenn wir Sie und ihre Verpackungen neu denken und neu designen, können wir sichere und kompostierbare Materialien schaffen, die zum Nährboden für weitere essbare Produkte werden.“

„Technische Regeneration der Gebrauchsprodukte: Waschmaschinen, Kühlschränke, Mobiltelefone oder Autos sind nicht kompostierbar. Sie sind aber zerlegbar in wertvolle Metalle, Polymere und Legierungen, die ihren Wert erhalten, sofern wir die Produktzyklen weiterdenken. Wenn wir über das Ladenregal hinausdenken und den Gesamtprozess als Produkt-Asset verstehen, dann sind die Produkte von heute die Ressourcen von morgen. Sie sind dann nicht mehr Müll, den man beseitigen muss, sondern kommerzielles Potential.“

Damit führt die Kreislaufwirtschaft von der Wegwerf-Gesellschaft zu einer Adoptions-Gesellschaft: Menschen nehmen ein Produkt lediglich in Nutzen und Pflege, geben es zurück und erneuern es, denn seine Komponenten sind dazu designt, dass sie zerlegt und regeneriert werden können.

Eine revolutionäre Idee
Der Gedanke ist revolutionär: Künftig bleiben die Hersteller Eigentümer der Materialien und Produkte. Die Kunden bezahlen damit fortan nicht für das gesamte Produkt, sondern nur für das Bereitstellen der Technologie und der „Performance“. Wäre dies der Fall, so würden Hersteller ganz selbstverständlich in hochwertige und langlebige Komponenten investieren, diese sorgsam pflegen, weil sie sie immer wieder reparieren, upcyceln, upgraden und updaten wollten. Wenn die Kunden etwas nicht mehr brauchen, nehmen die Hersteller es zurück, was für diese dann kein lästiges Zugeständnis mehr ist, sondern die Rückgewinnung einer wertvollen Ressource. Vielleicht bedeutet künftig Handel nicht mehr, Produkte zu kaufen und zu verkaufen, sondern Lösungen und Technologie in Lizenz zu geben und zu nehmen. Lokal können Geschäftszweige entstehen, die sich auf das Zusammensetzen von Produkten und das Reparieren von Komponenten verstehen. Ersatzteile werden aus nachhaltigem Material im 3D-Verfahren gedruckt, weil Hersteller nicht mehr in Form von Silos denken und an all ihren Patenten festhalten, sondern ihre Blaupausen Open Source im Lizenzmodell zu Geld machen.

Kreiselnd in die Zukunft
Mit Kreativität und Innovation können wir unsere Zukunft neu denken und designen. Gerade in diesen Tagen, wo wir deutlich die Auswirkungen des Klimawandels spüren, weil Dürre, Hitze, Starkregen und Energienotstand Unternehmen vor Herausforderungen stellen, begreifen wir die Einzigartigkeit und Zerbrechlichkeit unseres Lebensraumes. Da bietet die Aussicht auf einen Strukturwandel Hoffnung: Das lineare Denken von take – make – waste wird aufgebrochen und wir öffnen uns der Kreislaufwirtschaft mit endlos neuen Möglichkeiten.

Günther Reifer

g.reifer@terra-institute.eu

www.terra-institute.eu

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